FURIOS verachtet: Die musikalische Tortur

Schmierlappen und austauschbare Latino-Beats: Sommerhits treiben Theo Wilde in den Wahnsinn. Dank sozialer Medien sind sie mittlerweile unausweichlich geworden.

Foto: Flickr, mosambers (CC BY 2.0)
Gegen Sommerhits helfen nur noch Ohrstöpsel. Foto: Flickr, mosambers (CC BY 2.0)

Schon wieder Despacito! Und, als wäre das allein nicht schon schlimm genug, auch noch ein Cover auf der Panflöte. Ich möchte laut schreien, als ich auf Facebook eine neue Version dieses unsäglichen Machwerks vorgeschlagen bekomme, nur weil irgendein mir unbekannter Mensch in der Peripherie meiner Filterblase mit dem Video interagiert hat.

Es gibt in der heutigen Zeit als User von sozialen Medien kein Entrinnen mehr vor Sommerhits wie Despacito von Luis Fonsi und Daddy Yankee, deren Namen allein schon Lust auf weniger machen. Früher war es deutlich einfacher sich vor derartigen Geschmacksverirrungen zu schützen, da der Gefahrenbereich, in dem man sich vor stündlichen Wiederholungen von Songs wie Dragostea din tei von O-Zone oder der Macarena in Acht nehmen musste, relativ klar abgegrenzt war. Chartradios und MTV – die älteren Semester erinnern sich vielleicht noch – ließen sich entweder komplett meiden oder zumindest in den entscheidenden Momenten abstellen. Heutzutage machen zunehmende Vernetzung und Algorithmen einen Strich durch die Rechnung.

Lückenbüßer im Sommerloch

Gleichzeitig scheinen sich auch seriösere Medien wie Spiegel Online nicht zu schade zu sein, über die neuesten Wendungen der bahnbrechenden Erfolgsgeschichte des Songs zu berichten. Irgendwie muss das Sommerloch ja mit Content gefüllt werden. Der Sommerhit ist somit das akustische Äquivalent zum schielenden Opossum Heidi oder der marodierenden Kuh Yvonne, die in den letzten Jahren die Rolle des obligatorischen Sommerloch-Tiers innehatten. Denn ähnlich wie Heidi und Yvonne, die eigentlich nur das gemacht haben, was Tiere ihrer Art eben den ganzen Tag so machen – schielen und wiederkäuen – fehlt auch den Sommerhits in aller Regel die längerfristige Relevanz.

Das Marktforschungsinstitut GfK ermittelt jedes Jahr den Capo di tutti i capi unter den Sommerhits und beim Blick auf die Spitzenreiter der letzten Jahre lässt sich guten Gewissens behaupten, dass Yolanda Be Cool, Luis Fonsi oder Culcha Candela vermutlich nie in einem Atemzug mit den Rolling Stones oder Radiohead genannt werden. Das ist auch nicht der Anspruch seitens der Plattenfirmen, die diese Ausgeburten der Marketinghölle zu verantworten haben. Denn die heilige Dreifaltigkeit aus austauschbarem Latino-Beat, einem ebenso austauschbaren Schmierlappen, der mehr oder weniger subtile sexuelle Anspielungen einsingt und einer Promo-Kampagne, so aufdringlich und unangenehm wie ein Schwarm Moskitos in einer lauen Sommernacht, ist hoch profitabel. Dabei ist Viralität Trumpf und die sozialen Netzwerke bieten ein riesiges Potenzial an Menschen, die sich unreflektiert vor den Karren der Werbekampagne spannen lassen. Die Leidtragenden sind alle anderen Nutzer*innen, die wieder und wieder ohnmächtig mitansehen müssen, wie diese miesen Musikstücke unaufhaltsam den Weg in ihren Feed finden.

Autor*in

FURIOS Redaktion

Unabhängiges studentisches Campusmagazin an der FU seit 2008

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