Ältere Gasthörer*innen sind an der Uni vor allem eines: zu Gast. Doch manchen von ihnen fehlt der Respekt vor der jüngeren Generation, findet Lisa-Marie Brehmer.
„So ist das aber nicht richtig!“. Es ist Mittwochmorgen, neun Uhr und ein Seminarteilnehmer kann es wieder einmal nicht lassen. Mit hochgezogenen Augenbrauen und verkniffenem Gesichtsausdruck fährt er dem Dozenten über den Mund: „Ich sehe das aufgrund meiner Erfahrung ja ganz anders…!“ versucht er zu erklären, während die meisten umsitzenden Studierenden betreten vor Fremdscham auf den Boden schauen. Der Wortführende ist, wie kann es anders sein, ein Gasthörer.
Besonders Geisteswissenschaftler*innen haben häufig das Vergnügen mit ihnen: Sie sitzen bei Vorlesungen immer in den ersten fünf Reihen, tragen feine Ledertaschen und Gesundheitsschuhe und setzen auf den guten alten Bleistift. In meinem Seminar der Kunstgeschichte spielt sich beinahe wöchentlich das selbe Szenario ab: Ein älterer Gasthörer versucht dem etwa zwanzig Jahre jüngeren Dozenten eine Lektion in Geschichte zu erteilen – inklusive abschweifender Anekdoten aus seiner Jugend. Abgesehen davon, dass der Dozent die ruppigen Unterbrechungen gelassen entkräftet, findet der Rest des Kurses den guten Mann in den besten Jahren ungemein störend.
Warum können sich so viele einfach nicht benehmen?
Knapp 37.000 Gasthörer*innen gab es im vergangenen Wintersemester an deutschen Hochschulen, mehr als fünfzig Prozent von ihnen waren sechzig Jahre oder älter. Sie gelten offiziell nicht als Studierende, werden nicht immatrikuliert und streben deshalb auch keinen Abschluss an. Das Weiterbildungszentrum der FU preist das “GasthörerCard”-Programm mit der Perspektive an, „gemeinsam mit jungen Studierenden am regulären Lehrangebot” teilnehmen zu können. Ein Abitur brauchen die Gasthörer*innen nicht, müssen aber – je nach Programm – zwischen 160 und 240 Euro pro Semester zahlen.
Im Prinzip ist das eine gute Sache. Meistens sind es Senior*innen, die im Alter ihren Interessen nachgehen können – ganz ohne Prüfungsstress und Karrieredruck. Universitäre Bildung ist schließlich ein gesellschaftliches Gut, das jeder Generation offen stehen sollte. Doch herzzerreißende Ausnahmen wie die beiden älteren Damen, die sich nach meiner Vorlesung alte Sepia-Fotos von ihren verstorbenen Ehemännern zeigen, sind oft leider genau das: Ausnahmen. Warum können sich so viele Gasthörer*innen einfach nicht benehmen?
Respekt ist keine Einbahnstraße!
Wesentlich häufiger sind Kandidat*innen wie der bereits erwähnte Unruhestifter und Besserwisser. Von altersbedingter Arroganz geprägte Bemerkungen wie „Ihr wisst das ja noch nicht, aber…“ oder „Der Dozent hat da auch noch nicht die nötige Erfahrung…“ müssen einfach nicht sein. Die Gehstöcke als gefährliche Stolperfallen im Gang sind nicht zumutbar. Und die unüberhörbaren „Flüsterrunden“, hervorgerufen durch das allmählich schwindende Gehör, zeugen von Taktlosigkeit.
Liebe Gasthörer*innen: wir finden es toll, dass Sie den Weg zu uns ins beschauliche Dahlem gefunden haben, um mit uns gemeinsam an spannenden Veranstaltungen teilzunehmen und mit uns zu diskutieren. Doch manchmal ist ein wenig mehr Respekt vor der jungen Generation genauso angebracht, wie der Respekt vor den Lebenserfahrenen unserer Gesellschaft selbstverständlich sein sollte.