Erneut werden israelkritische Inhalte an der FU Gegenstand studentischer und außeruniversitärer Kritik. Die Fronten sind verhärtet, die Anschuldigungen harsch. Felix Lorber berichtet.
In welchem Rahmen darf sich Kritik an der israelischen Siedlungspolitik bewegen, ohne dabei antisemitische Stereotypen zu bedienen? Diese Frage wird an der FU nun schon zum zweiten Mal innerhalb eines Jahres lautstark und öffentlichkeitswirksam diskutiert. Die Universitätsleitung sieht sich dabei scharfen Anschuldigungen ausgesetzt.
Auslöser war ein für den 23. November geplanter Vortrag der an University of Illinois lehrenden Dozentin Lila Sharif. Die Veranstaltung mit dem Titel „Olive Insurrections: Palestinian Survival in a Vanishing Landscape“ war von der „Berlin Graduate School Muslim Cultures and Societies“ (BGSMCS) geplant worden, die als Forschungseinrichtung Teil der FU ist und Förderung aus den Mitteln der Exzellenz-Initiative erhält. Sharif beschäftigt sich in ihrer Arbeit unter anderem mit palästinensischem Leben in den israelisch besiedelten Gebieten und gilt als ausgesprochene Kritikerin der israelischen Siedlungspolitik.
“Studienfach Israelhass”
Nach heftiger Kritik der Journalistin und FU-Studierenden Judith Basad auf dem Blog Salonkolumnisten verbunden mit Mobilisierungen in den sozialen Netzwerken wurde die Veranstaltung jedoch kurzfristig abgesagt. In dem teils polemisierenden Artikel der Bloggerin wird Sharif als “Israelhasserin” bezeichnet und des Antisemitismus beschuldigt. Darüber hinaus verurteilt Basad auch die Rolle der FU Berlin unter dem Titel „Studienfach Israelhass“ und sieht Kontinuitäten im Umgang mit ähnlichen Fällen. Die Vorwürfe beziehen sich dabei vor allem auf die Dissertation Sharifs. Die Darstellung eines „zionistischen Siedlerkolonialismus“, der eine „Infrastruktur der Apartheid“ in Israel bediene, wertet Basad als antisemitische Klischees. Ein weiterer Vorwurf bezieht sich auf die “unkritische” Bezugnahme zur BDS-Bewegung in Sharifs Arbeit. BDS (Boycott, Divestment and Sanction) ruft unter anderem zum Boykott israelischer Waren auf und wird in Teilen als antisemitisch bewertet.
Ein ähnlich gelagerter Fall wurde im Januar am Otto-Suhr-Institut der FU laut. Der des Antisemitismus beschuldigten Dozentin Roldán Mendívil wurde unter anderem ein Bezug zu BDS, sowie die Bezeichnung Israels als Apartheidsstaat vorgeworfen. Ein außeruniversitäres Gutachten konnte die Vorwürfe jedoch im Anschluss entkräften. Auslöser der damaligen Ereignisse war ebenfalls ein Blogeintrag.
Überraschende Absage
Die kurzfristige Absage der Veranstaltung begründet die BGSMCS mit organisatorischen Problemen. In einer Stellungnahme der Graduiertenschule heißt es, der zu erwartende Andrang übersteige deutlich die räumlichen Kapazitäten von maximal 25 Personen: „Ein geregelter Ablauf der Veranstaltung war somit nicht zu gewährleisten“. Gleichzeitig wird die Kritik an Lila Sharif entschieden zurückgewiesen. „Über die Angemessenheit einiger der von Frau Sharif verwendeten Begriffe – „settler colonialism“, „Apartheid“, „Genozid“ – lässt sich streiten, und es wird in Fachkreisen auch lebhaft über sie gestritten.“, heißt es von Seiten der BGSMCS. Die von Basad vorgebrachte Kritik jedoch nennt sie pauschalisierend und aus dem Zusammenhang gerissen.
Aus der Stellungnahme der FU-Einrichtung geht außerdem hervor, dass sich Sharif zum Zeitpunkt der Absage aus anderen Gründen in Berlin aufgehalten und somit weder ein Honorar der Universität noch der Graduiertenschule erhalten habe.
“Angriff auf die akademische Freiheit”
Während sich die FU der BGSMCS-Stellungnahme anschloss und über ihren Twitter-Account die Vorwürfe zurückwies, antisemitische Veranstaltungen zu dulden, meldete sich wenige Tage später Lila Sharif selbst zu Wort. In einer über Facebook verbreiteten Stellungnahme vermutet sie antisemitische Vorwürfe als eigentlichen Absagegrund. Sie sieht in den Anschuldigungen eine politisch motivierte Taktik zur Unterdrückung von „Forschung und Aktivismus mit Bezug auf Palästina“ und einen Angriff auf die akademische Freiheit.
Unterdessen legte Basad auf Salonkolumnisten mit zwei weiteren Artikeln am 23. November und 08. Dezember nach, die den Umgang der FU mit den Vorwürfen abermals harsch kritisieren. Dass die Universität eine Distanzierung von den Äußerungen Sharifs versäume und, im Gegenteil, die logistische Begründung der Absage beibehalte, sei der eigentliche Skandal.