Ein Tag in der Start-Upper-Class

Wer in die Startup-Branche einsteigen will, ist in Berlin genau richtig. Anselm Denfeld und Leonhard Rosenauer haben sich die Szene erklären lassen – und sind skeptisch.

zalando-se_campus_hauptgebaude_fassade_visualisierung_entwurf_henn_architekten
Futuristisch muss es sein! Bild: Zalando Corporate Communications

Makellos aufgereiht stehen verschiedene Säfte, Wasser, Kaffee und Snacks auf dem riesigen Konferenztisch vor uns. Allein für die Verpflegung hat es sich gelohnt in die erhabenen Hallen des Ludwig-Erhard-Hauses zu kommen. Abgesehen von uns sind dem Aufruf der Hochschulgruppe der Agentur für Arbeit jedoch nur vier weitere Studierende gefolgt – schade um den Kaffee. Mit dem Vortrag „Career Opportunities in the Berlin Startup Scene“ sollen Studierende und Absolvent*innen hier auf eine Karriere in Berliner Startups vorbereitet werden. Eine zukunftsweisende Aufgabe, denn mit über 2400 Startups, die in Berlin 77.000 Menschen beschäftigen, scheint ein Boom im Gange zu sein. Der Referent gerät angesichts der Zukunftsprognosen ins schwärmen: “Berlin ist anders, Berlin ist kreativer.”

No pressure bei der 16-Stunden-Schicht

Skills statt Bildung lautet die Devise. Abschlüsse spielen keine Rolle, ambitioniert und flexibel müsse man sein. “Der Arbeitsmarkt in Berlin war noch nie so gut wie heute”, erzählt man uns. Fragt sich nur für wen, denn unausweichlich für den Einstieg in die Branche ist die Bereitschaft Überstunden zu leisten und für wenig bis kein Geld zu arbeiten. Vorbei mit kritischer Orientierungswoche und Schluss mit Marx 4.0. Das Zeitalter der digitalen Leibeigenschaft ist angebrochen! Selbst Zukunftsphilosoph Richard David Precht kämen da vor Hoffnungslosigkeit die Tränen. Dank flacher Hierarchien und edgy Atmo darf dafür, aber no pressure, nach Feierabend mit dem Chef ein Bier in der Silicon-Allee-Bar geschlürft oder nach einer 16-Stunden-Schicht unter dem firmeneigenen Kicker übernachtet werden. „Berlin ist, wenn man nicht weiß, obs ein CEO oder ein Obdachloser ist.“ – die Morgenpost weiß das schon länger.

Flexibilität statt Lebensplanung

Da die meisten Startups sowieso scheitern, heißt es bei der Karriere schnell outside the box denken und das Umfeld nach einem neuen Job screenen. Networken ist angesagt, an den relevanten Spots, wo sich Rocket Internet und Delivery Hero Gute Nacht sagen. Vielleicht fällt man auf dem Weg dorthin mit dem Elektroroller in ein metertiefes Schlagloch, das die Berliner Stadtkasse nicht füllen konnte und umgeht die ganze Sache mit der Lebensplanung einfach – das selbstprogrammierte Ärztevergleichsportal hilft dann auch nicht mehr weiter.

Ansonsten gilt es, Anglizismen zu verwenden bis Jens Spahn in Flammen aufgeht. Dann kann nichts mehr schief gehen beim Einstieg in die Welt des Business, die mit ihren Neologismen auch unsere Generation in die Fänge des Neoliberalismus locken will. Wer sich sträubt, wird früher oder später selbst in den Genuss einer Startup-Maßnahme des Arbeitsamts kommen. Aber wie gesagt, der Kaffee war gut.

Autor*in

FURIOS Redaktion

Unabhängiges studentisches Campusmagazin an der FU seit 2008

Ähnliche Artikel

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.