Die arte-Webserie „Cuba Underground“ räumt mit Klischees um Salsa und Zigarren auf und zeigt Alternativkulturen am Rande der Legalität. Leonhard Rosenauer hat sie sich angesehen.
Wenn es regnet wird der Skatepark im Clinico y 26 in Havanna geflutet wie ein künstlicher See. Die Rampen rosten bereits und der Betonboden ist an vielen Stellen vom unaufhaltbar wachsenden Unkraut aufgebrochen. Die Regierung will trotzdem keinen neuen Park bauen, also werden Orly und seine Freunde selbst tätig. Vier Anteile Sand, zwei Anteile Zement, Steine und Wasser benötigen sie, um die Rampen für ihren Park zu gestalten. Die Skater aus Kuba in den Thrasher Shirts sind die Protagonisten einer Folge der neuen arte-Webserie „Cuba Underground“. Die zehn Folgen, keine länger als acht Minuten, sind unter der Regie von Juliette Touin für arte France und Temps Noir entstanden und seit Anfang Januar in der Mediathek zugänglich.
Intime Einblicke
Die Dokumentarserie zeigt ein Land, das, gebeutelt von Diktatoren und imperialistischen Großmächten, einen Wandel vollzieht. Eine jüngere Generation, die sich über Autoritäten hinwegsetzt und versucht ihre Alternativkultur zu etablieren, gewährt hier einen intimen Einblick in ihr Schaffen. Touin offenbart dabei ein großartiges Gespür für ausdrucksstarke Momente. Etwa, wenn die Kamera einfängt, wie aus der Travestiekünstlerin Jimmy Vidal durch das „Herrichten“ des eigenen Körpers Estrella Vidal wird. Dabei verzichtet die Regisseurin auf jegliche Moderation. Die Protagonist*innen sind mit der Kamera allein. Lediglich ein paar Sätze mit Hintergrundinformationen zu den wirtschaftlichen oder politischen Umständen einer Szene werden zu Beginn eines Clips eingeblendet.
Zuhören, um zu verstehen
Es ist vor allem die unkommentierte Begegnung der Zuschauer*innen mit den Menschen vor Ort, welche die Webserie so sehenswert macht. Musiker*innen, Graffitikünstler*innen, Tätowierer*innen, Autotuner*innen und LGBTI Aktivist*innen kommen zu Wort, geben so Einblick in die Probleme und Wünsche der kubanischen Jugend. Wenn zum Beispiel der DJ und Produzent Xander Black davon berichtet, wie schwierig es sei in Havanna Locations für „halblegale“ Technopartys anzumieten, verweist das auf die Unterschiede zu unserem Land, in dem an jedem ersten Mai die gesamte Hauptstadt zur Techno-Meile erklärt wird. Oft äußern die Protagonist*innen auch materialistische Wünsche. Allerdings erscheinen diese bei genauerer Betrachtung weniger banal als vermutet. So wiegt die Enttäuschung der Grafittikünstler*innen darüber, dass es die Farbe Senfgelb mal wieder nicht zu kaufen gibt, schwerer, wenn man weiß, dass Mauern in Kuba lange Zeit als heilige Propagandaflächen der Kommunistischen Partei genutzt wurden und die Künstler*innen nun versuchen, diese zurückzuerobern.
Die kulturelle Vielfalt, die die Regisseurin Touin in der kurzen Zeit einer Episode einfängt, ist beeindruckend. Ganz nebenbei räumt sie dabei mit bekannten Klischees auf. In einem Interview auf Konbini äußerte sie jüngst: „Cuba (qui) ne se réduit pas à la salsa, aux cigares et à la vieille Havane“ – Kuba lässt sich nicht auf Salsa, Zigarren und das alte Havanna reduzieren. Recht hat sie. Denn wer etwas über das Land erfahren möchte, muss vor allem mit den Menschen vor Ort sprechen.