Vom Chaos in die Überforderung

Jonas Ambs taucht ab in eine Performance, die in Kraft und Willen überzeugt – fast aber zu viel von sich verlangt.

Das Individuum im Kollektiv. Der Schwarm ergründet Motive des Menschseins Das Individuum im Kollektiv. Der Schwarm ergründet Motive des Menschseins. Foto: David Sobusik

Das Individuum im Kollektiv. Der Schwarm ergründet Motive des Menschseins. Foto: anonym

Im dämmrigen Licht tritt die junge Frau aus dem Band der acht Tänzer*innen. Alle Augen ruhen auf ihr. Die Hand erst erhoben, führt sie einen Schlag gegen den eigenen Körper. Sie zuckt zusammen, die anderen beben mit ihr – alle acht sind getroffen. Ein Individuum, dessen nach innen gerichtete Zerstörung unmittelbar in die Zerstörung derer übergeht, die ihm nahestehen. Dies ist eines der ausdrucksstärksten Bilder, die das junge Kollektiv „VOLLKOMMENMAJESTÄTISCH“ in seiner ersten Inszenierung „Der Schwarm“ darstellt.

Ein Leib aus vielen Körpern

In drei Produktionswochen ergründete das Tanztheaterensemble aus Berliner Studierenden, was es heißt, Mensch zu sein, Bedürfnisse auszuleben und Teil eines Ganzen zu sein. Das Resultat präsentierten sie im FREIRAUM des Studierendenwerkes. Der Flyer verspricht zwölf Akte mit Namen wie “Intimität” oder “Kommunikation”, doch die einstündige Performance bietet eine weniger klare Dramaturgie, dabei beginnt alles übereinstimmend: Der Einstieg “Menschheitsgeschichte” reproduziert mit der Verspeisung der verbotenen Frucht das biblische Motiv Adam und Evas. Soweit so gut.

Darauf folgen martialische Eindrücke begleitet von urtümlichen, tiefen Klängen – die erdfarbenen Gewänder der Tanzenden und das Halbdunkel tragen ihren Teil bei. Die Akte gehen hier bereits unbemerkter ineinander über, animalisches Kriechen wechselt zu Jagen und Treiben, Schlagen und Hinnehmen: Besonders in der ersten halben Stunde ertragen die sich Gebärdenden viel Leid, ihre Präsenz ist deutlich spürbar. Immer wieder gelingt es der Performance, die richtigen Fragen zu verkörpern: Erst marschiert man im Gleichschritt, eine Kampfübung, rechts, links; dann gewinnt jemand die Kontrolle, herrscht, die anderen gehorchen: Wie verhält sich die Einzelne zu den anderen? Wie die anderen zum Einzelnen?

Flut der Motive

Was sich intensiv in der ersten Hälfte verbraucht, verliert sich unglücklicherweise in der zweiten spürbar. Die Choreographie, in ihren besten Momenten ein angenehmes Chaos, das Raum für Improvisation schafft, wird vermehrt von austauschbaren und ausdrucksschwachen Figuren durchsetzt, deren Bewegungen schnell wieder in Vergessenheit geraten. Schon Gesehenes taucht erneut auf, Minuten verstreichen, in denen das Vorgehende stagniert. Beispielhaft hierfür sind recht zufällig anmutenden Körperübungen, zu denen die Gruppe immer wieder zurückkehrt: Die Tanzenden interagieren, heben einander hoch, vollführen Sprünge; das alles wirkt willkürlich. Dazwischen jedoch bieten sich weiterhin denkwürdige Bilder an, es wird erotisch und verspielt, heller und komischer: Menschen, suchend nach Körperlichkeit, Liebe, ihre ungelenken Versuche, ineinander überzugehen, sich zu umgarnen, zu halten. Nicht zuletzt bricht die Bühnenstille, alle sprechen im Chor, legen Kontrast zwischen Natur und menschliche Sinngebung: “Nicht nur schlafen, sondern träumen. Nicht nur fortpflanzen, sondern lieben. “

Spätestens hier aber wird deutlich, wie hoch die Zahl der Motive ist, die das Ensemble im Stück darzustellen versucht. Vieles bleibt angedeutet, wird als Intention registriert, verbleibt dann aber unverständlich. Vielleicht gerät deswegen das Thema der Kollektivität (teilweise) ins Hintertreffen. In erster Linie scheint das Projekt dem Menschsein an sich nachzugehen – man will denken, ein anderer Titel, eine andere Vermarktung würden dem Projekt besser stehen. Der Fakt, auf der Bühne in der Mehrzahl, eine Gruppe zu sein, vermittelt jedenfalls nicht notwendigerweise Begriffe von Kollektivität.

Wahrscheinlich zwingt sich die Inszenierung durch das Überborden an Motiven und die beschriebene Diskrepanz zwischen Stückvorstellung und Aufführungsrealität selbst dazu, keinen Schluss zu finden: Das Ende geschieht abrupt, unvorhergesehen, etwas unfertig. Diese Kritik soll jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass “Der Schwarm”, von der Spannung der Tänzer*innen eingenommen, in Erinnerung bleibt und als Gesamterlebnis schlichtweg sehenswert ist.

Autor*in

FURIOS Redaktion

Unabhängiges studentisches Campusmagazin an der FU seit 2008

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