Abtreibungen gehören auf den Lehrplan!

Weil Dozierende es nicht tun, bringen sich Medizinstudierende selbst bei, Abtreibungen durchzuführen. Es wird Zeit, dass die Charité ihren Lehrplan an die Realität anpasst, findet Rebecca Stegmann.

Abtreibungen werden an der Charité, Deutschlands führendem Universitätsklinikum, derzeit in ein paar Minuten am Ende eines Seminars behandelt. Dabei wird nur auf die ethischen, rechtlichen und psychischen Aspekte eingegangen, nicht auf die medizinische Durchführung. Diese Lücke versucht die Gruppe „Medical Students for Choice Berlin“ zumindest teilweise zu schließen. Sie organisiert Workshops, bei denen Studierende an Papayas das in Deutschland häufigste Verfahren zum Schwangerschaftsabbruch üben. Die Gruppe will so dazu beitragen, dass das Thema enttabuisiert wird und sich die zukünftigen Ärzt*innen eher zutrauen, den Eingriff einmal selbst durchzuführen. Genau deshalb gehören die medizinischen Methoden auf den Lehrplan der Charité – damit alle Medizinstudierende sie lernen, nicht nur die, die sich engagieren und einen Platz im Workshop bekommen.

Immer weniger Ärzt*innen bieten Abtreibungen an

Etwa 100.000 Abtreibungen werden in Deutschland jährlich durchgeführt – es ist der häufigste chirurgische Eingriff in der Gynäkologie. Doch die Anzahl an Ärzt*innen, die ihn durchführen, geht zurück, die Strecken die Frauen fahren müssen um einen Abbruch vornehmen zu lassen, werden länger. Es ist kein Wunder, dass Mediziner*innen, die den Eingriff nie gelernt haben, ihn nicht durchführen. Ob Studierende später in der Facharztausbildung mit Schwangerschaftsabbrüchen in Berührung kommen, hängt von der Klinik ab, an der sie arbeiten. Die Universität könnte dafür sorgen, dass alle Studierende in Theorie und am Modell Einblicke in die Verfahren bekommen. Nur auf dieser Basis können zukünftige Ärzt*innen entscheiden, ob sie einmal selbst Abtreibungen durchführen wollen.

Gesellschaftliches Tabuthema

Der Lehrplan der Charité zeigt, wie sehr das Thema Abtreibung immer noch tabuisiert ist: Die paar Minuten, die Schwangerschaftsabbrüchen gewidmet werden, gehören zum Seminar „Voraussetzungen und Konsequenzen pränataler Diagnostik”. Das impliziert, dass Abtreibungen vor allem aus medizinischen Gründen vorgenommen werden sollten und spricht Frauen ihre Entscheidungsmündigkeit ab. In der Realität trieben 2017 96 Prozent der Frauen ab, nachdem sie die gesetzlich vorgeschriebene Beratung wahrgenommen hatten, also aus vielfältigen persönlichen Gründen. Abtreibungen gehören auch deshalb auf den Lehrplan – und zwar in ein eigenes Seminar – damit sie aus der Ächtung und Verschwiegenheit geholt werden.

Natürlich ist das etwas, was kein Lehrplan alleine leisten kann. Es braucht gesellschaftliches Engagement und den Gesetzgeber. Denn Abtreibungen sind in Deutschland noch immer grundsätzlich verboten und eben nur unter bestimmten Bedingungen straffrei. Der aktuelle Paragraph 218 des Strafgesetzbuches stammt von 1995 – da war Helmut Kohl Bundeskanzler und das Internet wirklich noch Neuland. Die Gesellschaft hat sich seitdem gewandelt. Es wird Zeit für Änderungen am Gesetz und am Lehrplan. Die Charité schreibt sich auf die Fahne, ihre 7000 Studierenden darauf vorzubereiten, „die Medizin von morgen“ zu gestalten. Was Abtreibungen angeht würde zunächst schon mal die Realität von heute reichen.

Autor*in

FURIOS Redaktion

Unabhängiges studentisches Campusmagazin an der FU seit 2008

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