Erste Woche „Megastreik”

An der FU wird seit letztem Montag gestreikt. Annika Reiß, Julian von Bülow und Victor Osterloh haben die Streikenden in ihrer ersten Woche begleitet. Eine Chronik.

Streikende der Kampagne TVStud besetzen die Eröffnung der Langen Nacht der Wissenschaften. Foto: Julian von Bülow

Montagmorgen. Prof. Joachim Trebbe hält vor etwa 120 Studierende eine Vorlesung zu Statistik. Es ist der erste Streiktag, doch die Auswirkungen sind bereits zu spüren. „Dadurch, dass die Tutorien ausfallen, kommen wir mit dem Stoff langsamer voran”, so Trebbe. Deswegen werde er die Klausur anpassen müssen, außerdem rechne er damit, dass die Klausurergebnisse schlechter ausfallen werden.

Es ist der Beginn des als „Mega-Streik” angekündigten zweiwöchigen Warnstreiks der studentischen Beschäftigten. Seit über einem Jahr dauern nun bereits die Verhandlungen um einen neuen Tarifvertrag an. Die Kampagne TVStud will darin eine deutliche Lohnerhöhung und einen dynamisierten Lohnanstieg, gekoppelt an den öffentlichen Dienst, erreichen. Bisher sind alle acht Verhandlungsrunden gescheitert. Die Studierenden werfen den Hochschulen eine Verweigerungshaltung vor, besonders die geforderte Dynamisierung stößt auf Ablehnung. Die Unis wiederum sehen die Schuld bei den verhandelnden Gewerkschaften und den Beschäftigten, die zu viel wollten.

Gute Stimmung und eine Warnung

Der zweite Streiktag beginnt mit einer Überraschung. Das Berliner Landesarbeitsgericht bestätigte in zweiter Instanz ein Urteil, nach dem eine studentische Hilfskraft der HU deutlich besser bezahlt werden muss – nach dem Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes. Ein Erfolg für die Kampagne.

Wie wichtig diese für die Streikenden sind, zeigt sich am nächsten Tag bei einem Besuch im Streikcafé vor der Mensa II. Unter einem roten Zelt sitzen einige Student*innen mit roten Gewerkschaftswesten. Wie ist die Stimmung im nun bereits siebten Warnstreik? „Die Leute haben immer noch Lust und wollen weiter streiken. Trotzdem sind die Aktionen inzwischen spärlicher besucht als bei den ersten Streiktagen im Januar”, sagt Moritz vom Infoservice. Man dürfe eben nicht vergessen, dass die studentischen Beschäftigten in erster Linie Studierende seien und Studium und Streik parallel bewältigen müssen. „Es kostet natürlich Kraft, wenn sich das so lange hinzieht”, pflichtet Anna ihm bei.

Doch gestärkt durch das Gerichtsurteil wollen Anna und dreißig weitere Demonstrant*innen der Unileitung ihren Forderungskatalog überreichen – symbolisch, mit einem Tarifvertrag in Plakatgröße. Auf der Treppe vor dem Präsidium pfeifen und skandieren sie lautstark. Kurz darauf erscheinen Vertreter der FU-Leitung, darunter Matthias Dannenberg, der ständige Vertreter der Kanzlerin und Finanzdirektor der Universität. Er geht die Konfliktpunkte durch, doch nach einer halben Stunde sind beide Parteien nicht weiter als zuvor. Den mitgebrachten Vertrag möchte Dannenberg nicht unterschreiben. Dafür gibt er den Demonstrant*innen eine Warnung mit auf den Weg: „Überlegen Sie sich gut, ob Sie ihre Aktionen bei der Langen Nacht der Wissenschaften durchziehen wollen.”

Zwischen dem Präsidiumsbesuch und den samstäglichen „Aktionen” trifft man den Dozenten Stefan Bommer. Der Politologe, der schon häufig bei TVStud-Aktion anzutreffen war, demonstriere auch in diesem Warnstreik aus Solidarität. „Ich glaube, dass wir uns darauf einstellen müssen, den Rest des Semesters durch zu streiken, dass Prüfungen nicht geschrieben werden können, dass tausende Studierende sich beschweren, weil sie ihren Abschluss nicht machen können. Das trifft auch Unbeteiligte, aber das ist nun mal das einzige Druckmittel der studentischen Hilfskräfte gegenüber der Unileitung.“

Bereitschaft zur Eskalation

Und den Druck wollen die Streikenden erhöhen. Die von ihnen umgetaufte „Lange Nacht der Ausbeutung” solle nun dazu dienen, die extra nach Dahlem angereiste Öffentlichkeit zu sensibilisieren und dem Präsidium zu zeigen, dass man es ernst meine.

Rund vierzig Streikenden haben Infostände an den Eingängen des Henry-Ford-Baus platziert, geben Interviews und strömen schließlich pünktlich zum Beginn des eröffnenden Science Slams ins Audimax. Zunächst ist nichts zu sehen von der angedachten „Eskalation”, doch plötzlich besetzen die Demonstrant*innen die Bühne. Sie unterbrechen die Veranstaltung und fordern Präsident Peter-André Alt und Kanzlerin Andrea Bör auf, Stellung zu den Tarifverhandlungen zu nehmen. Als der regierende Bürgermeister Müller den Saal betritt, sucht er das Gespräch, weist darauf hin, der Senat habe den Hochschulen das nötige Geld bereits zur Verfügung gestellt. Unterschreiben will jedoch hier niemand den symbolischen Vertrag, der bereits Dannenberg präsentiert wurde.

Die Veranstaltung wird schließlich abgebrochen, da die Demonstrant*innen immer noch auf der Bühne stehen. Etwas ratlos und deutlich verstimmt verlassen Unileitung und der Großteil des Publikums den Saal.

Die Eskalation ist geglückt, denn Aufmerksamkeit gab es eine Menge für die Streikenden, sogar der RBB war mit einem Kamerateam dabei. An den Verhandlungspositionen hat sich dennoch nichts geändert, die Fortsetzung der Streiks über das gesamte Sommersemester scheint möglich. Nun wollen die studentischen Beschäftigten aber wie angekündigt noch eine Woche weiter streiken – in der Hoffnung, dass sich die Hochschulleitungen bewegen.

Autor*innen

Julian von Bülow

interessiert sich für Politik, Geschichte und Technik. Freier Journalist für Text, Audio und Video. Auf Mastodon und Bluesky erreichbar.

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1 Response

  1. 27. August 2020

    […] waren wir bei der Langen Nacht der Wissenschaften 2017 freundlich und knuffig. Als wir ein Jahr später wiederkamen, mussten wir, so Leid es uns tat, Auftakt- und  Abschlussveran… Eskalative Aktionen polarisieren. Aber Leute verstehen auch, dass man nach einem Jahr […]

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