Eine engelsgleiche Fratze

Kopflos allen Versuchungen verfallen – so lebt Dorian Gray. Der Inszenierung des Theaterkollektivs „Federspiel” konnte Paula Schöber nicht widerstehen.

„Sünde zeichnet sich im Gesicht ab.” Nicht jedoch in dem Dorian Grays. Zumindest nicht, seit er sich äußerlich nicht mehr verändert. Stattdessen zerfressen seine Sünden das Portrait des Jünglings, während der echte Dorian Gray makellos bleibt. So hat es Oscar Wilde 1890 in seinem einzigen Roman erdacht, und so hat es das junge Regie-Duo „Theater Federspiel” um FU-Alumnae Anna Clart und Philine Köln 2018 modern und kurzweilig auf die Bühne gebracht.

Für das Kammerspiel „Dorian Gray“ haben die Theatermacherinnen sich auf drei(einhalb) Rollen konzentriert. Zu Beginn sinniert der Maler Basil Hallward nicht wie im Original mit Lord Henry über sein Bildnis Dorian Grays, sondern mit einer Frau. Es ist Lady (Lord) Henrietta. Was anfangs irritiert, ist nicht etwa als Mangel an männlicher Besetzung aufzufassen, sondern birgt einen ironischen Twist: Der chauvinistische Dandy wird hier als spitzzüngige Henrietta dargestellt.

Entfremdung von Leben und Tod

Einen Zugang zu Dorians Verlobter Sibyl Vane schaffen die von Regisseurin Philine Köln eingesprochene Audiosequenzen, auf denen die junge Schauspielerin Shakespeare rezitiert und damit den ihr verfallenen Dorian Abend für Abend begeistert. Als sie sich nach Dorians Zurückweisung das Leben nimmt, versucht Henry, dem entsetzten Dorian jegliches Reuegefühl auszureden: „Wenn sie nie richtig gelebt hat, kann sie nicht sterben.” Dass das nicht ganz stimmt, zeigt die abgehackte und mit röchelnden Würgelauten unterlegte Videosequenz, die den Selbstmord Sibyls auf dieselbe Leinwand projiziert, auf der sonst Dorians sündigender Alter Ego vergreist.

Zeitlos und doch modern

Sehr angenehm ist, dass die Macherinnen auf Requisiten wie Smartphones und sämtliche anderen Zeugen unserer modernen Lebenswelten verzichtet haben. Somit entsteht ein zeitloses Umfeld, in das die Handlung eingebettet wird. Malt Basil in Jeans an seinem angebeteten Porträt und kann kurz vor seinem Tod noch seine homoerotischen Begehren an Dorian ausleben, wähnt man sich im 21. Jahrhundert. Bestaunt man aber vorbei an urigen Dachbalken Dorian Grays makelloses Jünglingsgesicht, überhaupt seine weiße, dandyhafte Westenmanier, schwemmt es einen glatt zurück in die dekadente Zeit des Fin de Siècle.

Wildes erschreckend moderne Botschaft vermittelt die Inszenierung schonungslos: Gray verkörpert einen extravaganten, exotischen Lebensstil, der rücksichtslos und ohne zu zögern allen Versuchungen verfällt. Verbrechen gibt es dabei keine, denn, so Henry: „Jedes Verbrechen ist ordinär und alles Ordinäre ist Verbrechen.” Und genau dieser hedonistische Lebenswandel ist das eigentliche Verbrechen sowohl zu Zeiten Wildes als auch in unserem ach so fortschrittlichen 21. Jahrhundert.

„Wir sind, was wir sind”, so lauten die letzten Worte, die Henry Dorian und dem Publikum mitgibt. Dann ist Dorian sich selbst und seiner grässlichen Fratze ausgeliefert, die er nicht ertragen kann. Wild stürzend flüchtet er aus dem Raum. Es knallt – eine Tür. Dann knallt es ein zweites Mal. Dunkel, nur die weiße Leinwand schimmert noch nach. Wir sind, was wir sind. Aber können wir uns nicht ändern?

Im Herbst 2018 wird es eine Wiederaufnahme des Stückes geben.

Autor*in

FURIOS Redaktion

Unabhängiges studentisches Campusmagazin an der FU seit 2008

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