Ganz oder gar nicht

Wer bei jeder Gelegenheit in die Heimat jettet, kann das mit dem Studium in Berlin gleich ganz lassen, meint Rabea Westarp.

Berlin lockt Studierende aus der ganzen Welt an. Für einige von ihnen besteht die Anziehungskraft jedoch nur unter der Woche. Naht das Wochenende, steigen viele Studierende gerne in den ICE gen Heimat und bleiben das Wochenende über bei Mutti oder hängen mit den Freund*innen aus dem Dorf ab. Dort besuchen sie lang herbeigesehnte Events, wie die örtlichen Schützenfeste und Scheunenpartys, statt Wochenenden und Semesterferien bei einem Bier am Landwehrkanal einzuläuten.

Nie richtig ankommen

Wozu dann überhaupt das Ganze? Die Sehnsucht nach dem Trubel der Großstadt kann es ja irgendwie nicht sein, die diese Halbberliner*innen in die Metropole getrieben hat. Ist es einzig der Wunsch, eines Tages auch mal erzählen zu können: „Ich hab ja auch mal eine Zeit lang in Berlin gewohnt“?

Wie soll man denn je richtig ankommen in dieser ohnehin so anonymen Stadt, wenn man es erst gar nicht versucht und die Hausparty der neuen Kommiliton*innen sausen lässt, um sich dafür auf der Karnevalsfete im Kaff ein paar Schnaps hinter die Binde zu kippen? Dass Campusrallyes und Erstifahrten nicht für jeden was sind, geschenkt. Aber wer das umfassende Wochenendangebot der Hauptstadt nicht ansatzweise auskostet und aktiv versucht Anschluss zu finden, verschenkt einfach das Potential Berlins.

Verschwendetes Geld, verschwendete Lebenszeit

Darüber hinaus ist das Kosten-Nutzen-Verhältnis dieses Lifestyles ziemlich miserabel. Wochenendpendler*innen nehmen den nervenaufreibenden Wohnungsmarkt Berlins in Kauf und bezahlen für eine überteuerte unsanierte fünfer-WG ein Vermögen. Kleiner Tipp: Die Miete hierfür könntet ihr euch genauso sparen, wie die ewig langen Fahrtwege mit den verspäteten Öffis der BVG und die unverschämten Bahnpreise für das Ticket zu Mama und Papa. Die meisten Studiengänge der Berliner Unis gibt es sicher auch in Heimatnähe und selbst wenn es nicht das Hotel Mama sein soll, wohnt es sich in Paderborn oder Augsburg sicher günstiger als hier. Den hiesigen katastrophalen Wohnungsmarkt würde das vielleicht außerdem erleichtern.

An seinem heimatlichen Freundeskreis und dem dortigen Leben festzuhalten ist ja absolut legitim. Aber: Warum dann überhaupt erst so weit weg ziehen?

Jetzt seid ihr aber nun mal hier. Gebt der Stadt und all den neuen potenziellen Freund*innen, Liebschaften und sonstigen Wegbegleiter*innen um euch herum doch einfach mal eine Chance. Denkt beim nächsten Mal darüber nach, ob ihr die Einladung für die Party des neuen Kommilitonen oder der Kunstausstellung der Arbeitskollegin wirklich ausschlagen wollt, bevor ihr die innerdeutschen Billigflüge für zwei Tage Köln bucht.

Für all diejenigen, für die das Studium in Berlin nichts weiter als ein trendiger Zwischenstopp im Lebenslauf sein soll, denen sei ans Herz gelegt: Es gibt sicherlich geeignetere Studienorte für euch, mit denen ihr euch glücklicher macht – und uns Berliner*innen auch.

Autor*in

Rabea Westarp

Das Schreiben nutzt Rabea Westarp als Waffe gegen ihre immense Faulheit und Lethargie. Klappt eigentlich ganz gut.

Ähnliche Artikel

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.