“Assads Folterkeller” auf dem Campus

Ibrahim A. studierte von 2010 – 2012 an der Universität Damaskus und erlebte dort den Beginn des Krieges in Syrien. Mit Leon Holly hat er über seine Erfahrungen gesprochen.

Während seiner Zeit in Syrien wurde die Universität von Ibrahim A. von einer Rakete angegriffen. Foto: Leon Holly

Immer mehr Geflüchtete schreiben sich an deutschen Hochschulen ein. So auch Ibrahim: Er studiert heute am Otto-Suhr-Institut Politikwissenschaften, nachdem ihm 2014 die Flucht über das Mittelmeer nach Deutschland gelang. Zuvor lebte der Enkel palästinensischer Geflüchteter im Süden von Damaskus. Dort besuchte er die staatliche Universität und wurde Zeuge der Proteste gegen die Diktatur, für politische Freiheit und bessere Lebensbedingungen.

FURIOS: Wie hast du den Ausbruch der Revolution 2011 erlebt?

Ibrahim: Zur Zeit der Aufstände in Tunesien und Ägypten konnte ich mir kaum vorstellen, dass so etwas auch in Syrien passieren würde. Das Land galt als sehr stabil. Nachdem dann im März 2011 die Proteste in Dar’ā, im Süden des Landes, ausbrachen, verbot das Regime unabhängige ausländische Medien und schränkte auch den Zugang zu Facebook ein. Ab dann drangen aus den anderen Städten nur noch Gerüchte nach Damaskus.

Am 13. Juli 2012 erlebte ich die erste große Demonstration in meinem Viertel. Auf der Straße vor meinem Haus protestierten die Menschen und forderten den Rücktritt Assads. Auf einmal parkten etwa drei Soldaten der Syrischen Armee direkt vor meiner Haustür. Auf der Ladefläche eines Trucks hatten sie ein Maschinengewehr. Nach ein paar Warnschüssen eröffneten die Soldaten das Feuer auf die Demonstrierenden. Ein paar Menschen wurden verletzt oder starben, andere konnten sich in die Seitenstraßen flüchten.

Wie haben die Kämpfe das Leben auf dem Campus verändert?

Als sich die Krise verschlimmerte wurden wir vorsichtiger. Man durfte sich nicht in verdächtigen Versammlungen in der Uni blicken lassen, später kamen beliebige Kontrollen und Verhaftungen hinzu. Andere Teile des Landes wurden durch das Regime belagert und ausgehungert. Da hat bei mir die Konzentration auf das Studium nachgelassen. Es war wichtiger, nicht verhaftet zu werden, ein Dach über dem Kopf und genug Essen zu haben. Einmal traf eine Rakete die Mensa der Universität, einige Studierende wurden getötet und verletzt.

Wer hat die Rakete abgefeuert?

Die Meinungen darüber gingen damals stark auseinander. Wenn man mit Assad-Anhängern redete, machten sie sofort die Opposition verantwortlich. Die Gegner Assads verteidigten die Rebellen und versicherten, die Opposition setzte sich für die Menschen ein. In Wirklichkeit konnten wir es nicht genau wissen.

Wie war die Atmosphäre in der Uni?

Die staatliche Universität stand, wie alle öffentlichen Einrichtungen, unter der totalen Kontrolle des Regimes. Jedes Mal, wenn ich den Campus betrat, kontrollierte Wachpersonal am Eingang meinen Ausweis. Eines Tages befahl ein Soldat meinem Freund ihm zu folgen. Vier bis fünf Stunden hörte ich nichts mehr von ihm. Offizielle der Baath-Partei hatten ihn zur staatlichen Rundfunkanstalt gebracht, wo er gezwungen wurde, vor laufenden Kameras Parolen zur Unterstützung von Assads Regime aufzusagen.

Die Partei hatte also auch auf dem Campus die absolute Kontrolle?

Genau. Direkt an der juristischen Fakultät, wo ich studierte, stand ein Gebäude, in dem sich Büros der regierenden Baath-Partei befanden. Was sich unten im Haus abspielte wusste niemand genau. Erst vor ein paar Monaten habe ich in Deutschland einen Syrer getroffen, der es mir berichtete: Ein Kommilitone hatte ihn bei der Partei als Oppositionellen denunziert, woraufhin mein Bekannter verhaftet wurde. Im Keller dieses Gebäudes befand sich ein Gefängnis, wo Soldaten der Partei ihn folterten. Ein paar Tage später schoss ein betrunkener Soldat im Gefängnis blind mit einem Maschinengewehr um sich. Mein Freund wurde verletzt und ist später im Krankenhaus wieder aufgewacht.

Wie empfindest du dein neues Leben in Deutschland?

Es ist schön, in Sicherheit zu sein. Die soziale Offenheit der Menschen in Syrien fehlt mir manchmal. Aber Deutschland hat seine Vorteile: Hier stehen mir viel mehr Möglichkeiten und Freiheiten offen und wenn man für etwas arbeitet, kann man auch erwarten, dafür belohnt zu werden. An Berlin gefällt mir insbesondere der Kontakt zu vielen unterschiedlichen Kulturen.

Autor*in

Leon Holly

On the write side of History. @LeonHolly_

Ähnliche Artikel

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.