Ein großer Schnitt in die Zukunft

Die „Einstein Lecture“ von Prof. Emmanuelle Charpentier an der FU ermöglicht einen Blick auf die momentan bedeutendste Entdeckung der Biotechnologie: Die Genschere. Judith Rieping war da.

Mit CRISPR-Cas9 ist Emmanuelle Charpentier ein Durchbruch gelungen. Bild: Leon Holly

Wenn Forscher*innen der Biotechnologie heute ins Schwärmen geraten und gar nicht mehr damit aufhören, dann geht es höchstwahrscheinlich um die Genschere CRISPR-Cas9. Ihre Entdeckerin Emmanuelle Charpentier ist mittlerweile ein Wissenschafts-Star.

Kein Wunder, dass die Veranstaltung an der FU mit über 1.800 Registrierungen einen riesen Andrang erlebt. Der Hörsaal im Henry Ford Bau ist voll, alle sind neugierig auf die Frau, die eine neue Ära im Gen-Editing, also dem Bearbeiten von genetischem Material, eingeläutet hat.
Die Veranstaltung steht unter dem großen Titel der „Einstein lectures“ an der FU, bei der sich seit 2005 Koryphäen aller Forschungsgebiete die Hände reichen. Emmanuelle Charpentier ist dabei die erste und bisher einzige Frau in der Serie.

Diese Frau steigt nun mit entschlossenem Schritt vor die gespannten Zuhörer*innen. Charpentier beginnt ihre Vorlesung, ganz im Sinne des Abends, mit Zitaten von Albert Einstein. Sie liest vor: „Das Leben ist wie Fahrradfahren, um die Balance zu halten musst du in Bewegung bleiben“. Dass sie sich an dieses Motto hält, wird mit einem Blick auf ihr bewegtes Leben deutlich.

Schon als Kind träumt die Französin Charpentier vom Institut Pasteur, dem weltweit führenden Zentrum für Grundlagenforschung in Biologie und Medizin in Paris. Sie promoviert dort im Bereich der Mikrobiologie. Es folgen Etappen an renommierten Wissenschaftsstandorten in New York, Wien und Umeå. 2015 zieht es Charpentier nach Deutschland, wo sie Direktorin der Max-Planck-Forschungsstelle für die Wissenschaft der Pathogene wird.

Von der Bakterienevolution zu CRISPR-Cas9

Tatsächlich handelt es sich bei der Genschere um einen Zufallsfund. Frau Charpentier war zuvor in der Grundlagenforschung zu Bakterien tätig. Sie ahnte dabei nicht, wie bedeutsam das später auch für alle Bereiche der Lebenswissenschaften, von Tierzucht bis Krebsforschung, werden würde.

Genauso wie Menschen müssen sich auch Bakterien gegen den Befall von Viren schützen. Dafür haben Bakterien einen Mechanismus entwickelt, der verhindert, dass fremde DNA in ihre Vermehrungsapparate eingeschleust werden kann: die CRISPR-Cas Methode. Das Bakterium nutzt CRISPR-Cas zum Erkennen und Zerschneiden der fremden DNA-Teile. Das funktioniert wie ein Immunsystem gegen fremdes Genmaterial. Dieser Mechanismus ist in uralten evolutionären Prozessen entstanden. Paradox ist, wie auch Charpentier mit der sichtlichen Freude einer Forschernatur feststellt, dass Menschen nun die Werkzeuge der Bakterien selber nutzen können, um die Evolution zu beeinflussen.

Chance oder Gefahr?

Mit dieser Methode lässt sich DNA präzise und günstig zuschneiden. Dem Entwerfen und Verändern der Gene von Pflanzen oder Tieren steht nichts mehr im Weg. Auch das Heilen bestimmter Erbkrankheiten wird greifbar. Die Forschung steht zwar noch in den Startlöchern, jedoch könnten nun krankheitsverursachende Codes umgeschrieben werden.

Doch Prof. Mundlos, Genetiker der Charité sieht hierin nicht die vorrangige Rolle von CRISPR-Cas9. Zu hoch schätzt er die ethischen und rechtlichen Bedenken gegen das Verfahren bei Menschen ein. Er sieht das Potenzial der Methode eher in der Tier- und Pflanzenzucht, wo nun viel schneller und effektiver neue Sorten entwickelt und getestet werden.

Als Charpentier endet, braust Applaus auf und im Saal macht sich das Gefühl breit, Zeug*in ihres großen Schritts in die Zukunft geworden zu sein.

Autor*in

FURIOS Redaktion

Unabhängiges studentisches Campusmagazin an der FU seit 2008

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