Harmonie statt Provokation

Mit seiner Reinszenierung der „Publikumsbeschimpfung“ versucht Martin Laberenz die Versöhnung mit dem Publikum und dreht das Stück in sein Gegenteil. Von Victor Osterloh.

Strobogewitter, Nebel und Hardrock. Bildmontage / Foto: Arno Declair, Illustration: Joshua Leibig

Dem Grundthema des Stücks angemessen, steigen wir am besten mit einem Blick auf die Sitznachbar*innen ein. Rechts ein älteres Paar, routinierte Theatergänger*innen: Die Zielgruppe. Die beiden kennen das „Original“, das heißt in diesem Fall, sie erwarten einen „Klassiker“ des deutschen Nachkriegstheaters, eine Legende der Provokation, wollen mal so richtig abgewatscht werden; und werden, natürlich, enttäuscht. Die ungläubig prüfenden Blicke auf ihren jüngeren Nachbarn gleichen dem verzweifelten Versuch der Verortung: Sehen wir das gleiche?

Etwas weiter hinten eine Gruppe, vielleicht Schauspielstudierende. Die kennen das Stück womöglich nicht, wohl aber Ensemble und Regisseur und erwarten sich eine abgedrehte Show. Für diese Treue werden sie mit bunt-gold-glitzernden Kostümen, Nebel, viel Licht und einer zehnminütigen Müslislapstick belohnt; sie wurden nicht enttäuscht. Es scheint: Eins zu null für den Zeitgeist – aber reicht das schon?

Gegenstand: Publikum

Die „Publikumsbeschimpfung“, geschrieben von Peter Handke in den sechziger Jahren, inszeniert von Claus Peymann, war seinerzeit eine Kriegserklärung an die Konventionen des bürgerlichen Theaters, an die feste Beziehung von Schauspieler*in und Publikum, die dramatische Form selbst. Die direkte Ansprache, der beinahe feindselige Ton schafften es in wenigen Minuten das Publikum gegen die Inszenierung aufzubringen. Weniger als die tatsächliche Beschimpfung empörte das Publikum der sechziger Jahre der Gegenstand des Stückes; das Publikum selbst. Das Stück ist eine theatertheoretische Reflexion, ein Spiel, das die Zuschauer*innen an der Nase herumführt und ihnen diesen Umstand gleichzeitig unter selbige schmiert.

„Haben Sie die Dialektik dieses Stückes verstanden?“

Was Martin Laberenz mehr als sechzig Jahre später versucht, ist nicht weniger, als die Umkehrung der „Publikumsbeschimpfung“. Dazu muss man natürlich anmerken, dass heute tatsächlich niemand mehr mit postdramatischem Theater hinter dem Ofen hervorgelockt werden kann. Doch der Versuch „mal zu gucken, was das Stück heute noch zu bieten hat“, endet so lau, wie diese Paraphrase des Programmtextes schon klingt. Hin und hergerissen zwischen einem devoten Erinnerungskult an die Adresse Peymanns und Handkes und dem Versuch den Stoff mit greller Ästhetik, schrägen Kostümen und viel Musik zu dekonstruieren, muss es den Zuschauer*innen so scheinen, als habe das Stück heute einfach nichts mehr zu sagen.

Doch sowohl „die“ Zuschauer*innen als auch Laberenz selbst sitzen hier einem Irrtum auf. Auch heute hat das Publikum Grenzen, die überschritten werden können und auch heute noch kann die Beschäftigung mit dem Publikum, das Vorhalten eines Spiegels (und zwar nicht nur eines riesigen Spiegels im Bühnenhintergrund) die wunden Punkte offenlegen; das gilt gerade in einer (Theater-)Gesellschaft, deren allgemeine Geisteshaltung eigentlich nur als antidialektisch bezeichnet werden kann.

Die Laberanz’sche Umkehrung

Doch „Publikumsbeschimpfung“ ist nur dann interessant, wenn besagte Grenzen in der Inszenierung zum Vorschein kommen und somit zum Abbild ihrer Zeit werden; so wie auch die Uraufführung zu einem Zeitdokument des Nachkriegsdeutschlands mit all seinen restaurativen Momenten und eines Theaters und einer Kunst geworden ist, die zu dieser Zeit eine Krise des Stillstandes, der Konservation und Revision gerade so hinter sich hatte.

Laberenz negiert das Potenzial, dass dieses Stückes in der heutigen Zeit besitzt, ja dreht es tatsächlich in sein Gegenteil, wenn er es lediglich als historisches Element begreift. Und so gerät die Inszenierung zum Benefitskonzert in Erinnerung an Peter H. und Claus P. und zu einem Fest liberal-pluralistischer Ideologie, ein Zusammen und Nebeneinander, in dem es „die großen Konflikte nicht mehr gibt“. Wenn die Schauspieler*innen den Zuschauer*innen am Ende die Hand reichen, dann ist nicht bloß das Kriegsbeil begraben, dann wurde gleich schon das ganze Stück unter die Erde gebracht.

Das Stück Publikumsbeschimpfung” ist noch bis Januar 2019 im Deutschen Theater zu sehen. Die Uraufführung von 1966 findet sich auf Youtube.

Autor*in

FURIOS Redaktion

Unabhängiges studentisches Campusmagazin an der FU seit 2008

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