Thronfolge in Dahlem

Die FU hat einen neuen Präsidenten. Günter M. Ziegler soll die Uni in die Zukunft führen. Er gilt als zuverlässig und integer, Konflikte umgeht er und ähnelt damit seinem Vorgänger im Amt. Seine Wahl war ein Akt mit Ansage. Was wird aus dem Spitzenmathematiker an der Spitze der Uni? Felix Lorber und Victor Osterloh haben Zieglers Wahl begleitet.

Günter M. Ziegler beim FURIOS-Interview im Vorfeld der Präsidentschaftswahl. Foto: Victor Osterloh

Während im Henry-Ford-Bau der Akademische Senat (AS) der FU tagt, hat sich die Polizeikette vor dem Eingang geöffnet. Die Studierenden, die für einen neuen Tarifvertrag streiken, drängen in den Saal. Eine Sprecherin ergreift das Mikrofon und adressiert ihre Forderungen an den „Präsidenten Ziegler”. Dabei gibt der zu diesem Zeitpunkt gerade seine erste öffentliche Bewerbung um das Amt ab. Dass die Studierenden Ziegler ansprechen, scheint ein Missverständnis, jedoch nur auf den ersten Blick. Denn bereits knapp drei Monate vor der tatsächlichen Wahl im Mai 2018 ist abzusehen, wer Peter-André Alt als Präsident der Freien Universität nachfolgen wird: der Mathematiker Günter M. Ziegler.

Als der Tagesspiegel im Dezember 2017 den Wechsel des bisherigen FU-Präsidenten zur Hochschulrektorenkonferenz vermeldet, wird Ziegler bereits als der aussichtsreichste Kandidat bezeichnet. Entscheidend sei letztlich, dass dieser „auf Akzeptanz in der ‚Vereinten Mitte’ stößt”, dem „Präsidentenwahlverein” also, der auch Vorgänger Alt aus seinen Reihen erhob und dem Ziegler selbst angehört. Obwohl es normal ist, dass Präsidiumswahlen an der FU schon von vornherein entschieden sind – selten gibt es überhaupt mehr als einen Kandidaten – ist die Geschichte Zieglers besonders. Vor allem, weil er selbst sie häufig erzählt: „Ich habe vom Weggang Peter-André Alts bei einer Sitzung des Exzellenzrats gehört. Eine Kollegin von rechts und ein Kollege von links sprechen mich an: ‚Hast Du schon gehört, Alt will HRK-Präsident werden.’ Da sag’ ich: ‚Nee …’ Und dann kommt gleich hinterher: ‚Machst Du denn die Nachfolge’?” Diese Anekdote ist fester Bestandteil von Zieglers Narrativ. Zu groß wäre die Unsicherheit an der FU gewesen, sich ernsthaft mit der externen Kandidatin Tanja Brühl auseinanderzusetzen. Ziegler entschied sich schnell: „Ich mache das”. Alles andere als eine Zusage wäre ein „Desaster” für die FU gewesen, sagt er.

Exzellente Pläne, exzellente Biografie

Es ist das Bild des vielseitig interessierten Mathematikers, der unverhofft zu höchsten Weihen aufsteigt, das seine Erzählung so attraktiv macht. Es wird zu einem der Hauptmotive seines Wahlkampfes – auch weil inhaltlich Neues kaum Platz findet zwischen der Fortführung der Exzellenzanträge und dem selbstbewussten Führungsanspruch der FU in Berlin.

Günter Matthias Ziegler, 1963 in München geboren, hat in seiner Vita beinahe alle Preise stehen, mit denen ein Mathematiker so ausgezeichnet werden kann. Überraschend ist das nicht, Zieglers steiler Aufstieg deutete sich bereits früh an. Vielleicht schon bei der übersprungenen dritten Klasse, spätestens aber mit der Goldmedaille bei der Internationalen Mathematik-Olympiade, dem Elitestudium am Massachusetts Institute of Technology, der Promotion mit 24 und schließlich der Habilitation im Alter von nur 29 Jahren. Drei Jahre später wird Ziegler zum jüngsten Professor der TU berufen.

Der Mathematiker Günter M. Ziegler. Foto: Kay Herschelmann

Einige Wochen vor seiner Wahl empfängt Günter M. Ziegler in der „Villa“ der Mathematik, wie er das Institutsgebäude stolz bezeichnet, zum Interview. Mit lässig aufgeknöpftem Hemd sitzt er in seinem Büro und spricht über die Zukunft der FU. Die Freie Universität solle noch freier werden: frei in ihrer Forschung, frei in der Auswahl ihrer Studierenden. Ziegler gehört zu jenen, die Bildung als Produkt und eine Universität als Produzenten betrachten. Die Worte Exzellenz und Cluster – Vokabeln des bundesweiten Förderprogramms für forschungsstarke Elite-Universitäten, der Exzellenzstrategie – fallen häufig. Ziegler weiß, welche Themen er ansprechen muss, um die wichtigste Statusgruppe der Hochschulpolitik – die Professor*innen – zu bedienen. Er verspricht „Leadership“, Führungsstärke, und beschwichtigt, er werde den Rest der FU nicht über die möglichen fünf Exzellenzclustern im nächsten Jahr vergessen. In der Forschung liegt seine Stärke, hier ist er Zuhause.

Contra Dissens

Aus eigener Erfahrung versteht Ziegler, wie eng verschlungen Politik, Wirtschaft und Forschung an einer Universität sind, die zu großen Teilen von Drittmitteln abhängig ist. Dementsprechend vorsichtig navigiert er durch das Gespräch. „Ich habe immer das Problem, dass wenn ich sage, was ich anders machen will, das immer gleich nach Fundamentalkritik klingt.” Dies ist Ziegler derart unangenehm, dass es schwerfällt, überhaupt etwas Kritisches über das letzte Präsidium aus ihm herauszuholen. Er ähnelt seinem Vorgänger und Spezi Alt, wenn es darum geht, Dissens zu ignorieren. Wurden unter Alt Konflikte, wenn notwendig, auch mal ausgeschwiegen, so ist sein Nachfolger vor allem darauf bedacht, die Brüche innerhalb der Universität kleinzureden: „Ich glaube, dass es gar nicht die riesigen Kontroversen darüber gibt, wo es hingehen soll für die FU.” Dass seine Pläne zum Studierendenmarketing und seine Überlegungen, Studiengebühren wieder einzuführen, stark nach der ökonomisierten Universität klingen, die Studierendenvertreter*innen immer wieder anprangern, scheint Ziegler nicht zu stören. Spricht er davon, dass er „eigentlich nur Stärken an der Freien Universität” sieht, stoßen solche Äußerungen nicht überall auf Begeisterung. Gerade beim Allgemeine Studierendenausschuss (AStA) scheint Ziegler einen Nerv zu treffen. „Diese Aussage ist ein Schlag ins Gesicht all jener Menschen, die sich seit Jahren für bessere Arbeits- und Studienbedingungen, eine demokratische Hochschule und gerechten Hochschulzugang für alle einsetzen,” erklären die Studierendenvertreter in einer Stellungnahme nach der Wahl.

Das Multitalent

Doch längst nicht überall stößt der Mathematiker auf Abneigung. Zu Gast beim Berliner Science Slam 2010 zeigt Ziegler sich von seiner humorvollen Seite. „Mit den Beweisen in der Mathematik ist es eigentlich ähnlich wie mit dem Sex. Die haben stattzufinden zwischen Erwachsenen, bei gegenseitiger Zustimmung und außerhalb der Öffentlichkeit.” Er hat hier sichtlich Freude daran, dem Publikum seine aktuelle Forschung anhand von Smarties zu erklären. Nicht ohne Grund gilt Ziegler unter seinen Studierenden als beliebt. Denn ob als Gast bei Stefan Raab oder als DJ bei der Professor*innen-Nacht, Ziegler probiert gerne Neues aus. Und so schlägt er auch am Ende des Interviews ein neues Format vor: „Politiker interviewen Journalist*innen. Das wäre doch mal was!”

Am Tag der Präsidentschaftswahl steht Ziegler auf der Bühne im Henry-Ford-Bau. Das aufgeknöpfte Hemd hat er gegen einen marineblauen Anzug eingetauscht. Lässig lehnt er am Rednerpult, beantwortet Fragen aus dem Publikum. „Ich habe fünf Agendapunkte mitgebracht: Exzellenz, Internationalität, Diversität, Gemeinschaft und Attraktivität.“ Ziegler als Macher; kurzzeitig in der Presse aufkeimende Zweifel am Ausgang der Wahl sind verflogen. Alles andere als ein Sieg Zieglers wäre eine Sensation. Die Blumensträuße liegen schon bereit, als das Ergebnis bekannt gegeben wird. 39 der 61 Stimmen reichen zum Sieg. Hochrangige Gratulant*innen, darunter der ehemalige Wissenschaftssenator Jürgen Zöllner sowie der Berliner Staatssekretär für Wissenschaft Steffen Krach, scharen sich um Ziegler. Im Audimax überwiegt die Zufriedenheit – oder ist es eher Erleichterung? Dass sich der interne Kandidat durchgesetzt hat, bedeutet für das Unternehmen FU so etwas wie Planungssicherheit. Und darum geht es.

Zum Nachlesen: das FURIOS-Interview mit dem neuen FU-Präsidenten im Vorfeld der Wahl.

Im Montagskommentar kritisiert Victor Osterloh die Wahl Zieglers als eine vertane Chance.

Autor*innen

Felix Lorber

schrieb, schreibt und wird geschrieben haben - für FURIOS und andere. Vorwiegend online, mal über Politik, mal über Musik.

Ähnliche Artikel

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.