Nur wegen dir, Henning

Die deutsche Pophoffnung AnnenMayKantereit ist mit einem neuen Album zurück – und bestätigt viele Klischees. Felix Lorber sieht verschenktes Potential.

Henning May, bekannt für seine tiefe Stimme. Bildmontage / Foto: Florian Koppe, Annenmaykantereit Kosmonaut Festival 2015, Wikimedia Commons, Illustration: Joshua Leibig

Selbstzweifel, wohin man auch hört, gepaart mit einer Übermenge Liebe – keine Frage, AnnenMayKantereit ist die Band der Generation Y. Die vier Kölner Musiker Christopher Annen, Henning May, Severin Kantereit und Malte Huck haben in den vergangen zwei Jahren von sämtlichen Clubs bis zu den großen Festivals nahezu alle Bühnen des Landes bespielt.
Nach dem überragenden Erfolg ihres Debütalbums „Alles nix konkretes“ haben sie nun ihren zweiten Longplayer „Schlagschatten“ nachgelegt. Herausgekommen ist eine musikalisch weitgehend unspektakuläre Platte, die von ihren oft zu beliebigen Texten bestimmt wird und es Henning Mays Stimmtalent überlässt, für den Rest zu sorgen.

Wohin mit all der Selbstreflexion

In 14 melodisch klingenden und textlich eingängigen Liedern singt Henning May über großteils belanglose Themen. Einer Reihe etwas kitschiger, feel-good Liebeslieder („Marie“, „Nur wegen dir“, „In meinem Bett“) folgen bedeutungsschwangere Anklagen der eigenen Antriebs- und Anspruchslosigkeit. Ganze viereinhalb Minuten geht es in „Ich geh heut nicht mehr tanzen“ um das resignierende Gefühl, es am Abend doch nicht mehr in den Club zu schaffen. Die ursprünglich noch halbwegs originell gereimten Wortspiele („Ich geh heut nicht mehr tanzen / ich glaub, ich rauche heute Pflanzen“) wechseln sich dabei mit an der Peinlichkeit kratzenden Versversuchen ab: „Ich bin noch immer so müde von gestern / Und suche bei Netflix nach einem Western“.

Ist der Großteil der Lieder vom klassischem Gitarrenpop-Sound und zunehmer Bandentwicklung geprägt, verliert das Klavier, Mays persönliche Paradedisziplin, etwas an Bedeutung. Immer wieder eingestreute leichte Tanzsounds sorgen für die entsprechende Live-Credibility. Erinnert man sich an das – textlich und musikalisch – grandios konzipierte „21, 22, 23“ auf dem Vorgänger-Album, schwindet die Hoffnung auf etwas Unorthodoxie im deutschen Mainstream auf der aktuellen Scheibe leider zunehmend.

Das machen auch die etwas nachdenklicheren Titel in der zweiten Hälfte nicht wett, deren Bedeutungsschwere vom fast melodramatischen Sound untermauert wird. Mit großem Anspruch, aber dann doch reichlich unkonkret, widmet sich die Band hier den wirklich wichtigen Themen: Rechtsruck, Drogen („Schon krass“) – und ganz viel Selbstzweifel. Zwar wirkt das Eingeständnis der eigenen Privilegien in „Weiße Wand“, dem ersten wirklich politischen Lied der Band, auf den ersten Blick spannend. Wie auch das folgende „Hinter klugen Sätzen“ (in dem der Sänger „Konsequenzen zieht, die gar keine sind“) wirft es allerdings die Frage auf, was mit der herrlichen Selbstreflexion nun eigentlich anzufangen ist. Denn es folgt nichts, keine politische Botschaft, keinerlei Aufruf oder gar Motivation, selbst einmal aktiv zu werden.

Eine große Menge Fans

Das wirklich Tragische daran ist, dass es auch anders gehen würde. AnnenMayKantereit besitzen gehöriges Potential, Mainstream und Genrefreaks zu vereinen und dabei echte Botschaften zu vermitteln. Durch ihre enorme Reichweite wäre es ein Leichtes, für aktuelle Missstände zu sensibilisieren oder wenigstens etwas unbequemer zu sein. Das Glorifizieren des eigenen, alltäglichen Elends, das eigentlich gar keines ist, bewirkt aber das genaue Gegenteil dessen. Selten konnte man die Vorurteile gegenüber der oft geschmähten Generation Y, den unentschlossenen, selbstbezogenen Zweifler*innen, stärker bestätigt sehen.

Was bleibt, ist die Aussicht, dass auch „Schlagschatten“ mit hoher Wahrscheinlichkeit ein äußerst erfolgreiches Album wird, gefolgt von noch erfolgreicheren Tourneen. Zu gern würde man den vier Jungs diesen Erfolg auch gönnen; eingedenk ihrer Popularität ist es offensichtlich immer noch möglich, sich mit handgemachter Musik im deutschen Industrie-Pop der Max Giesingers und Mark Forsters zu behaupten. Am Ende steht aber doch eine triste Erkenntnis: Ohne die einzigartige Stimme Henning Mays könnten sie es eigentlich auch lassen.

Autor*innen

Felix Lorber

schrieb, schreibt und wird geschrieben haben - für FURIOS und andere. Vorwiegend online, mal über Politik, mal über Musik.

FURIOS Redaktion

Unabhängiges studentisches Campusmagazin an der FU seit 2008

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1 Response

  1. Ela sagt:

    Plausibel und stimmig. Doch es klingt schon recht studentisch (auch wenn ich natürlich unter diese Eigenschaft fallend selbst den Impuls verstehe), von der Musik einen Motivationsschub zur praktischen Veränderungen oder Steigerung der eigenen politischen Handlungen zu erwarten. Das passiert nur plötzlich, weil sie deutsch und so nahbar sind. Ich denke, AMK muss deshalb nicht in den Liedern selbst pädagogisch wertvoll sein bzw. in mehr als einem.

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