Das Erbe großer Fotografinnen

Frauen haben in der Geschichte der Fotografie nur wenig Aufmerksamkeit für ihre Arbeit erhalten. In der Fotoausstellung #womenphotographer Vol I. wird dies nachgeholt. Elias Fischer hat sie besucht.

Fotografie steht im Zentrum der Ausstellung. Bildmontage
Foto: Pixabay. Illustration: Joshua Leibig

Der Blick fällt auf ein sanft grinsendes, doch auch sehr kantig markantes Antlitz – ein Mann. Ein traditioneller Sari, Jasminblüten im Haar, dunkle Lidstriche – doch etwa eine Frau? Behaarte, vaskuläre Unterarme – eindeutig ein Mann. Brüste – eindeutig eine Frau. Diese Fotografie der aktuellen Ausstellung #womenphotographer Vol I. provoziert und fesselt ob der Ambivalenz und das scharf konturierte Gesicht scheint Betrachter*in um den Konflikt in seinem/ihrem Inneren wissend, süffisant zu belächeln. Ein Eunuch in einer Traube weiterer Eunuchen, dokumentiert von der indischen Fotografin Dayanita Singh, als Synonym der Diversität in der Geschichte der Fotografie geprägt durch Mann UND Frau.

Vielfalt sollen die wenigen, ausgewählten Werke darbieten – so steht es im Vorwort des Ausstellungskatalogs zu #womenphotographer Vol. I. Vielfalt in der Darstellung und dem schöpferischen Wirken einiger großen Fotografinnen. Der „freiraum für fotografie – f3 in Kreuzberg stellt derzeit Arbeiten einflussreicher Fotografinnen des 20. Jahrhunderts aus. Die Aufmerksamkeit, die weiblichen Fotografinnen in der Öffentlichkeit zuteil wird, stehe in einem unausgewogenen Verhältnis zu ihrer bedeutenden Rolle in der Geschichte und Entwicklung der Fotografie, bemerkte eine der Kuratorinnen und künstlerische Leiterin des „f3“, Katharina Mouratidi, in einem Interview mit dem kulturradio des rbb. Deshalb bedürfe es eines weiteren Einblickes in die Tätigkeiten von Fotografinnen.

Von Chile nach New York

Einen anderen Blick liefert Rosmarie Pierer mit„Cerro San Cristobal“. 1955 fotografierte die gebürtige Bernburgerin, bekannt als Pionierin der Multivision, zwei Personen auf einem Aussichtspunkt mit dem Rücken zum*r Betrachter*in an einem VW Käfer lehnend. Vor ihnen wechseln sich Baumkronen, tiefer Nebel und Hügel immer wieder ab, bis eine beschneite Bergkette der Kulisse ein Ende setzt. Der*die Betrachter*in gleitet mit jedem Wimpernschlag wohlig durch ein neuartiges, sich wellenartig ausbreitendes Areal, als reite man auf Fuchurs Rücken durch Phantásien.

Kontrastiert wird das Panorama von einer aggressiv, aber in ihrer Hoffnung unerschütterlich starrenden Fotografin Nan Goldin, die sich nach durch ihren Mann begangener Körperverletzung selbstportraitierte; von dem Zärtlichkeit transportierenden, seichten Wangenknabbern in Elinor Caruccis Extreme Close Up ‚Bite 2‘; von der oberflächlichen Akkuratesse und Eitelkeit der Subjekte in Vivian Maiers posthum veröffentlichten Fotografien in New Yorks Straßen.

„The Ballad of Sexual Dependence”. Foto: Nan Goldin

Diversität im Gestaltungsprinzip

Diese diversen, teils sehr emotionalen Wahrnehmungen werden durch technische Variationen nicht nur ergänzt, sondern zusätzlich bereichert. Eine Meisterin des Lichts, Berenice Abbott, spielt mit Licht und Schatten sowie mit materieller und architektonischer Fülle. Karin Székessy demonstriert die Eigenart der Doppelbelichtung. Inge Morath inszeniert ohne jeglichen Verlust von Dynamik. Es wird protokolliert, portraitiert, philosophiert, pointiert. Absolute Vielfalt.

Diese Ausstellung erfüllt ihre Intention – Aufmerksamkeit für Werke großer Fotografinnen wecken – in beeindruckender Weise. Wer sich also von der numerischen Beschränkung der Werke, von den winzigen Einblicken in herausragende Reihen provozieren lässt, eröffnet einem wunderbaren Gefühl von Neugierde Raum, die Einblicke zu Überblicken werden zu lassen.

Wer erfahren möchte, wie #womenphotographer Vol I. genau aussieht, kann sich noch bis zum 10. Februar in den f3  in Kreuzberg einen Einblick in die unterschiedlichsten Sichtweisen und Techniken der Fotografinnen verschaffen.

Autor*in

FURIOS Redaktion

Unabhängiges studentisches Campusmagazin an der FU seit 2008

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