Bei der „Debatte Dahlem“ am Otto-Suhr-Institut diskutierten Claudia Roth, Norbert Lammert und Sabine Kropp, wie der Einzug der AfD die Arbeitsweise des Bundestages verändert. Antonia Böker hat zugehört.
Wie wird im deutschen Bundestag diskutiert, wie gearbeitet – heute, in einer Zeit zunehmender Polarisierung? Dieser Frage stellte sich das neue Diskussionsformat an der FU „Debatte Dahlem“ in seiner Auftaktveranstaltung. Ziel der Reihe ist es, einmal pro Semester Personen aus Wissenschaft und Politik zusammenzubringen, um gesellschaftliche Streitfragen zu erörtern. Als Expert*innen hatte das Otto-Suhr-Institut (OSI) für Politikwissenschaft dazu die Bundestagsabgeordnete Claudia Roth (Bündnis 90/Die Grünen), den ehemaligen Bundestagspräsidenten Norbert Lammert (CDU) sowie die Politologin und FU-Professorin Sabine Kropp (Politisches System der BRD) geladen.
Der Ton ist rauer geworden
Ein Bundestag in Zeiten der Polarisierung – das meint vor allem einen Bundestag, dessen Teil die AfD ist. Denn Expert*innen sind sich einig, dass sich unser Parlament durch den Einzug der „Alternativen“ verändert hat – nicht nur in seiner Struktur, sondern auch der Kultur. Der Bundestag ist traditionell ein Arbeitsparlament, Debatten im Plenum kommen im Gesetzfindungsprozess eine untergeordnete Rolle zu. Mit der AfD scheint sich dies nun zu ändern – Parlamentsdebatten geraten mehr in den Fokus. Doch wird nicht nur mehr diskutiert. Kritiker*innen sorgen sich vor allem um die Art und Weise, wie diskutiert wird. Der Ton, so der Konsens, sei rauer geworden.
Das Bild, das Claudia Roth am Montag zeichnete, bestätigt diesen Eindruck. Die Grünenpolitikerin, aktuell Vizepräsidentin im Parlament, gehört zu jenen, die sich schon zuvor besorgt über das neue Bundestagsklima geäußert hatten. Sie sprach von einem Prügeln mit Worten, einem neuen, „virulenten Sexismus“ im Bundestag. Besonders prägnant: Roths Schilderung eines Vorfalls im Plenum. Ein AfD-Abgeordneter habe sich dem Platz der Kanzlerin zugewandt und dabei durch den Saal gebrüllt: „Wer keine Eier hat, darf nicht regieren.“ Viele Männer im Saal hätten nur herzlich gelacht.
Konsens?
Die Situation in den Ausschüssen beschrieb die Grüne ähnlich. Mit der der AfD sieht sie dort keine konstruktive, gemeinsame Arbeit. Auch hier gäbe es stetig „systematische Angriffe“ auf verschiedenste gesellschaftliche Gruppen.
Claudia Roth appelliert an die Studierendenschaft im Saal : “Jeder von ihnen ist verantwortlich für diese Demokratie. Wir sind die Mehrheit, bei allen Unterschieden, Aber die muss sich in Bewegung setzen!” #DebatteDahlem
— FURIOS (@fucampus) 4. Februar 2019
Eine Lösung sieht Roth in einem breiten Konsens unter allen Demokrat*innen: Die Demokratie müsse stetig vor inhaltlichen Angriffen durch die AfD verteidigt werden – im Plenum und außerhalb. Dies sei bisher aber nicht der Fall. Das Unwort des Jahres, „Abschiebeindustrie“, wäre dafür nur ein Beispiel. Es kam nicht von der AfD.
Norbert Lammert schätzte die Lage hingegen etwas gemäßigter ein. Genau einen solchen Konsens, wie von Roth gefordert, erkennt er bereits. Auch der Gedanke, der jetzige Bundestag sei der bisher „polarisierteste“, erscheint ihm übertrieben. „Stilistische Ausbrüche“ habe es schon zuvor gegeben, erklärte er, und erinnerte dabei an den Einzug der Grünen in den Bundestag. Der Erfolg der AfD wäre von Rahmenbedingungen begünstigt gewesen, die nicht ewig gegeben seien. Neue Mehrheiten hätten wir in Deutschland zumindest nicht.
Norbert Lammert zu dem Vorwurf, die Politiker*innen würden nur „Wischiwaschi“ reden. (Thread) #DebatteDahlem pic.twitter.com/54OBhMJnxS
— Corinna Cerruti (@Corinna_Cerruti) 4. Februar 2019
Suche nach Lösungen
Die weitere Diskussion zeigte wieder, wie schwierig es sein dürfte, konkrete Lösungen zu finden. Die AfD könne nun nicht mehr ignoriert oder ausgegrenzt werden, sie sei jetzt nun einmal da, gab Sabine Kropp zu bedenken. Die Erfahrung habe gezeigt, dass auch das Übernehmen rechter Themen nicht funktioniere. Ändere man die Geschäftsordnung, würde die AfD nur in ihrer Opferrolle bestätigt. Was bleibt, ist ein Beharren auf den eigenen Positionen – und Kommunikation.
So richtete sich Kropp gegen Ende der Debatte noch einmal selbst an die beiden Parlamentarier*innen: Wie könnten die anderen Parteien die Wähler*innen zurückholen, die der AfD anhängen? Grundsätzlich nur durch klare positionelle Differenzen zwischen den Parteien, glaubt Lammert. Er stellte aber auch in den Raum, ob man diese überhaupt zurückholen wolle, oder solle. Roth widersprach dem. Sie zweifle daran, vor allem als Grüne, AfD-Anhänger*innen zurückgewinnen zu können. Man müsse nun „ohne Wenn und Aber ein anderes Modell von Rechtsstaat und Demokratie vertreten“.
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