Werte weltweit

Thomas Risse erforscht in einem neuen Projekt den Wandel internationaler Normen – auch in autoritär regierten Gesellschaften. Wieso er weiterhin an einen globalen Wertekanon glaubt, hat Josefine Strauß herausgefunden.

Thomas Risse untersucht globale Normen. Foto: Martin Funck / Thomas Risse

Politikwissenschaftler Thomas Risse hat allen Grund zur Freude: Im Rahmen des Reinhart-Kosseleck-Projekts fördert die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) seinen 5-Jahres-Plan zur Erforschung internationaler Werte mit einer Million Euro.

FURIOS: In Ihrem Buch „A Community of Europeans“ schreiben Sie über transnationale Identitäten und Öffentlichkeit. Wir erleben jedoch gerade eine Wiederkehr der Grenzen: Aktuell existieren weltweit 70 Grenzmauern oder befinden sich in Planung. Ist es nicht bereits zu spät für die Erforschung gemeinsamer Werte?

Thomas Risse: Definitiv nein. Klar, es wird heute sehr viel in Frage gestellt, von dem wir dachten, dass wir damit eigentlich schon durch waren. Aber es gibt nach wie vor einen großen Wertekanon, der global geteilt wird. Nicht jeder Versuch, eine Norm in Frage zu stellen, hat auch diese Wirkung.

Zum Beispiel?

Nehmen Sie Trump: Er steigt aus dem Pariser Abkommen aus, aber meiner Meinung nach hat das das Klimaschutzabkommen weltweit sogar gestärkt. Man hat Angst gehabt, dass alle anderen Länder auch kalte Füße kriegen und ebenfalls aussteigen, aber sie sind dabei geblieben. Insofern gebe ich da noch nicht auf. In der wissenschaftlichen Arbeit verteidige ich natürlich keine Werte, sondern versuche herauszufinden, was los ist. Auf der anderen Seite bin ich selbst auch engagiert in diesen Themen. Ich denke, Wissenschaftler*innen müssen aus ihren Elfenbeintürmen raus, denn es stehen gerade liberale Werte unter Beschuss, die verteidigt werden müssen.

Glückwunsch übrigens zur DFG-Förderung. Worum geht es in Ihrem Projekt konkret?

Wir untersuchen, wie sich Verständnisse von internationalen Normen wandeln, wenn sie in unterschiedliche Kontexte übersetzt werden. Es ist interessant zu sehen, wie in internationalen Verträgen festgeschriebene internationale Normen in den Ländern unterschiedlich verstanden werden, welche Praktiken daraus folgen, und wie sich das im politischen Verhalten von Menschen äußert.

Wie gehen Sie bei der Erforschung vor?

Wir werden auf globaler Ebene arbeiten und weltweit Gerichtsentscheide zu diversen Menschenrechten wie Folterverbot und Genderrecht erheben. Denn Gerichte müssen diese Dinge beurteilen und dann Recht sprechen. Dafür habe ich mich mit Computerlinguisten und Juristen zusammengetan, um zu sehen, wie weit man neue Methoden der automatisierten Textanalyse treiben kann, um solche Wertunterschiede rauszukriegen. Noch ist nicht klar, ob man so etwas überhaupt quantitativ analysieren kann.

Wie untersuchen Sie die Einstellungen der Menschen vor Ort?

Wie wollen ethnografische Studien durchführen, bei denen wir schauen, wie bestimmte Normen von einem gesellschaftlichen Kontext in einen anderen übernommen werden. Natürlich fährt man auch in die Länder selbst und setzt sich mit Experten vor Ort zusammen oder schaut in den Dörfern, was dort passiert.

In vielen Ländern ist die Demokratie in Gefahr oder es herrschen bereits Diktatoren. Wie stellen Sie unter solchen Umständen eine Erforschung der Normen sicher, um ein realistisches Abbild der lokalen Wertekultur zu erstellen?

Ich forsche seit 20 Jahren über Menschenrechte und abgeschlossene Diktaturen sind eines der größten Forschungsprobleme. Man darf weder die einreisenden Wissenschaftler*innen, noch die lokalen Gesprächspartner*innen in Gefahr bringen. Einiges kann man mit öffentlich zugänglichen Quellen von hier aus machen. Es gibt aber auch Umweg-Strategien: Man kann mit Geflüchteten reden oder Themen anders benennen. Das Forschungsgebiet Gender kann man beispielsweise unter dem Entwicklungsgesichtspunkt diskutieren, dann sind die Menschenrechte zunächst raus und man erfährt indirekt etwas darüber. Es geht immer auch darum, Grenzen zu testen: Wenn ich beispielsweise in China bin, schaue ich immer, was sie mich noch erzählen lassen und wo Schluss ist. Trotz der andauernden Repressionen finde ich die Offenheit dort immer noch erstaunlich groß.

Autor*in

Josefine Strauß

Kann Dinge besser aufschreiben als aussprechen.

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