FURIOS schwärmt: Mit Orwell Zeitgeschichte erleben

Die Wahrnehmung von George Orwells Werken beschränkt sich oft auf sein berühmtes Buch “1984”. Doch der Autor hat weit mehr zu bieten, meint Leon Holly.

George Orwell. Foto: Cassowary Colorizations, Flickr

In unserer Ferienserie „FURIOS schwärmt“ stellen unsere Autor*innen eher unbekannte oder unterschätzte Personen, Gruppen oder Genres ins Rampenlicht.

Der Engländer George Orwell (1903-1950) gehört zu der Kategorie Autor, dessen politische Haltungen unmittelbar mit der eigenen Biografie verflochten sind. “Every line of serious work that I have written since 1936 has been written, directly or indirectly, against totalitarianism and for democratic socialism, as I understand it”, bekannte er in seinem Essay “Why I Write”. Dabei opponierte er stets gegen die drei großen autoritären Versuchungen seiner Zeit: Imperialismus, Faschismus und Stalinismus.

Nach einer Ausbildung am Elitecollege Eton, verdingte sich Orwell einige Jahre als Kolonialpolizist in Birma für das britische Empire. Schnell entwickelte er eine Abscheu gegen das dekadente, arrogante und rassistische Kolonialregime – Erfahrungen, die er in seinem ersten Roman „Burmese Days“ verarbeitete. Später schrieb er bedauernd: „For five years I had been part of an oppressive system, and it had left me with a bad conscience. Innumerable remembered faces – faces of prisoners in the dock, of men waiting in the condemned cells, of subordinates I had bullied and aged peasants I had snubbed, of servants and coolies I had hit with my fist in moments of rage.“

Krieg in Katalonien

Zurück in Europa mischte sich Orwell als angehender Schriftsteller unter das Lumpenproletariat Frankreichs und Englands, wo er die Folgen jämmerlicher Armut am eigenen Leib erlebte. Als 1936 der Spanische Bürgerkrieg ausbrach, schloss er sich einer kleinen trotzkistischen Miliz in Katalonien an, um die Republik gegen General Francos Armee zu verteidigen, bis eine Patrone seinen Hals durchbohrte und die Hauptschlagader nur knapp verfehlte. „War to me meant roaring projectiles and skipping shards of steel; above all it meant mud, lice, hunger and cold”, schilderte er seine Erfahrungen in “Homage to Catalonia”.

Erstmals finden sich hier all jene Motive und Akteure, die Europa und Orwell das nächste Jahrzehnt beschäftigen sollten: Der Krieg gegen Francos Faschisten, die Hilfe aus Deutschland und Italien bekamen; die autoritären Kommunisten mit Unterstützung aus Moskau; und das zögerliche Ausland, von den USA bis England, die keinen Finger zur Unterstützung der demokratischen Kräfte rührten.

Orwell heute zu lesen, heißt die Geschichte des Zweiten Weltkrieges, samt seinen Vorboten und Nachwehen, durch die Augen des Autors zu sehen. Er fungiert dabei als Prisma, das neben den harten Fakten vor allem auch den Zeitgeist samt seinen Launen, Widersprüchen und Lügen einfängt und auf Papier bricht.

1984 – Sein bekanntes und verkanntes Werk

Der Roman „1984“ bleibt nichtsdestotrotz das berühmteste Werk Orwells. Nicht selten muss das Werk als Vergleich für die Auswüchse eines angeblichen Überwachungsstaates herhalten, wenn es darum geht NSA-Spionage oder Gesichtserkennungs-Kameras zu kritisieren. Doch diese angebliche Äquivalenz ist lächerlich: Die permanente Überwachung, der sich Winston Smith in „1984“ ausgesetzt sieht, ist nur eines von vielen Werkzeugen des totalitären Regimes vom „Big Brother“, um seine Untertanen in permanenter Armut, Sklaverei und Unterwürfigkeit zu halten.

Der ewig bemühte Vergleich ist zu der Art von hohlem, billigem Klischee verkommen, die den Schriftsteller Orwell schon zu Lebzeiten störte. Er stand vielmehr für klares Denken, deutliche Sprache und intellektuelle Ehrlichkeit, und das inmitten der Kriegswirren und Propagandaschlachten der 30er und 40er Jahre, in denen für all diese Werte weder Angebot noch Nachfrage herrschte.
Dieser kurze Text kann seinem Wirken nicht gerecht werden. Unerwähnt blieb bislang beispielsweise seine Fabel „Animal Farm“, eine Parabel über die verratene Oktoberrevolution in der Sowjetunion. Oder die zahlreichen Essays zu mannigfaltigen Themen – bis hin zur entscheidenden Frage, wie man einen englischen Tee korrekt zubereitet.

Autor*in

Leon Holly

On the write side of History. @LeonHolly_

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