Wie man alten weißen Männern zuhört

Netzfeministin Sophie Passmann will ein Feindbild besser verstehen. In „Alte weiße Männer“ macht sie sich auf die Suche nach dem Ursprung männlicher Selbstgerechtheit. Julia Hubernagel hat das Buch gelesen.

Bildmontage. Foto: Julia Hubernagel, Illustration: Joshua Leibig

Sophie Passmann versteht den heutigen Feminismus als Überkorrektur. Das Beharren auf gendergerechter Sprache oder das ständige Zählen von Männer- und Frauenpositionen in Vorständen sei anstrengend und lästig. Aber Feminismus müsse eben nerven, um präsent zu sein, meint Passmann.

Nicht präsent zu sein, kann man der 25-Jährigen gerade nicht vorwerfen. Seit ihrer Jugend ist sie in der deutschen Poetry Slam-Szene aktiv und erlangte insbesondere durch ihren Twitter-Feminismus Bekanntheit. Mittlerweile ist sie für das Neo Magazin Royale tätig, schreibt eine Kolumne in der ZEIT und hat mit ihrem neuen Buch „Alte weiße Männer. Ein Schlichtungsversuch“ für Diskussionen über Ewiggestrige gesorgt.

Erklärtes Ziel des Buches ist es, herauszufinden, wann ein alter weißer Mann zu einem solchen wird – und, viel wichtiger, ob man es verhindern kann. So kommt es, dass Passmann nicht mit knietätschelnden Abteilungsleitern diniert, sondern lieber mit Robert Habeck Touristendampfer beobachtet oder mit Kevin Kühnert Avocadobrot frühstückt.

Passmann lässt die Männer reden

„Alte weiße Männer“ ist eine Sammlung von Gesprächen mit Personen aus der Kultur- und Medienwelt. Passmann hört zu, lässt ihren Gegenüber ausreden und kommentiert das Gesagte im Nachhinein. Wenn sie sich dabei vom ehemaligen BILD-Chefredakteur Kai Diekmann aufzeigen lässt, warum die Frauenquote eine schlechte Idee ist, erinnert das jede junge Leserin schmerzlich an eigene Gespräche, in denen ein alter weißer Mann meinte, ihr die Welt erklären zu müssen.

Passmann umkreist das so stereotype Bild des alten weißen Mannes in immer enger werdenden Kreisen, kriegt es jedoch nicht zu fassen. Das Problem liegt auf der Hand: Wie soll man ein Feindbild konstruieren, ohne es genau zu kennen? Wie den alten weißen Mann zum Umdenken bewegen, ohne ihn mit seinem Auftreten zu konfrontieren? Passmann hat den unbequemen Weg vermieden, wirkliche Prachtexemplare der Gattung alter weißer Mann zu treffen.

Konfrontation um jeden Preis vermeiden

Ihre „sorgsam kuratierte Filterblase“ verlässt sie nur selten. Lediglich beim Gespräch mit dem Urvater des deutschen Hippietums, Rainer Langhans, der bei Sojahack und Aubergine haarsträubende Thesen zum „Opfer-Feminismus“ aufstellt, ist der Konflikt greifbar. Eingeschüchtert und fassungslos sitzt Passmann ihm gegenüber, sagt jedoch nichts. Klar, ihre Rolle ist „die der großen Versöhnerin“, nicht ohne Grund versteht sich „Alte weiße Männer“ als „ein Schlichtungsversuch“. Ein bisschen weniger Passivität hätte auch dort gut getan, wo Passmanns Sympathie für ihre Gesprächspartner gar zu offenkundig wird. Claus von Wagner und Kevin Kühnert spielen eben einfach im selben Team wie sie selbst.

Passmanns Fallstudie ist durchaus erhellend und kurzweilig, kluge Gedanken finden sich zuhauf. Bahnbrechend neue Erkenntnisse dürfen jedoch nicht erwartet werden; eine Feministin schreibt für Feminist*innen über Gespräche mit dem Feminismus meist freundlich gesinnten Männern. Was jedoch überrascht, ist die Uneinsichtigkeit mancher Männer ob ihrer eigenen Privilegiertheit. So ist der WELT-Chefredakteur überzeugt, dass die Zeiten von „dicken fetten alten Männern“, die am liebsten unter sich bleiben, vorbei sind. Von Aufsichtsräten ohne Frauen, dem DFB-Präsidium oder Horst Seehofers Innenministerium scheint Ulf Poschardt wohl noch nicht gehört zu haben.

„Alte weiße Männer – ein Schlichtungsversuch“ von Sophie Passmann ist Anfang März beim Verlag Kiepenheuer und Witsch erschienen und kostet 12 Euro. 

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