Winterfell zur Sommerzeit

Werbung funktioniert nach klassischen Darstellungsmustern. Abweichungen wirken verwirrend, das zeigt die Fotoausstellung “Contradiction” der C/O-Foundation. Elias Fischer hat sie sich angesehen.

Links: TV-Story, Motiv für i-D Magazine. Rechts: Motiv für Palmers Unterwäsche. Bildmontage / Fotos: Elfie Semotan , Illustration: Joshua Leibig

Eine weiße Wand, gräuliche Schatten zeichnen ein weißes Laken auf einem Bett nach. Auf der Bettkante sitzend: eine junge Frau. Ihre Arme ranken schlaff entlang der überschlagenen Beine gen Boden und ziehen die wehrlosen Schultern erbarmungslos mit. Das Kinn beugt sich dem Gewicht der pechschwarzen Haare. Ihr Blick ist nach unten gerichtet. Gemusterte weiße Unterwäsche ziert ihren formlos wirkenden Körper. Einzig eine Audiospur zu der Tristesse dieser Schwarzweißfotografie fehlt, die auf die Symptome von Depressionen hinweist. Der Grund: Es ist kein psychiatrischer Aufklärungsversuch, sondern eine Unterwäschewerbung.

Ein absoluter Widerspruch, der entsteht, weil die gewöhnlichen Merkmale einer Unterwäschewerbung – Sexualität, Erotik, Attraktivität – vom Publikum vergebens gesucht werden. Die österreichische Fotografin Elfie Semotan bedient sich gerne des Widerspruchs. Die aktuelle Ausstellung unter dem passenden Titel “Contradiction” im C/O Berlin, kuratiert von Felix Hoffmann, zeigt diese Neigung. In ihrer Mode- und Portraitfotografie bricht die Künstlerin gezielt mit den gewohnten Elementen kommerzieller Ästhetik. Sie selbst hat in den 60er-Jahren diesen Bruch vollzogen, indem sie ihre Karriere als Model beendete und hinter die Kamera wechselte.

Wien, ca. 1980, Motiv für Palmers Unterwäsche. Foto: Elfie Semotan

Absurd erscheint in “Contradiction” ihr Spiel mit der Ware, die beworben werden soll. So verlagert Semotan das Setting für eine Pelzmantel-Werbung an einen Pool bei sengender Hitze. Eine Pelzträgerin tippt elegant mit der Fußspitze vom Beckenrand aus auf einen Ball im Wasser, schräg hinter ihr erstreckt sich ein nackter, glänzender Männerkörper, der die Präsenz der Sonne untermauert. Eine völlige Entfremdung der Ware Mantel. Semotan entreißt in dieser Fotografie aber nicht nur der Ware ihren Zweck, weil der wärmende Pelz in der Hitze völlig deplaziert wirkt. Sondern sie protestiert auch gegen gesellschaftliche Rollenbilder. Umzingelt in der kalten Welt blanker Männlichkeit schütze sich die Frau unter der Pompösität des wärmenden Pelzes, so die Interpretation des Kurators im Buch zur Ausstellung. Demonstrativ hält die Hand den Mantel geschlossen.

Die Fotografin widersetzt sich scheinbar seit jeher jeglichen Gesellschaftsbildern. Ihr Erfolg in einer männerdominierten Modefotografie beweist die provokante und selbstbewusste Haltung, die in den ausgestellten Bildern spürbar ist. Sie zeigen die Schauspielerin Shalom Harlow, die in Jeans und Holzfällerhemd Posen ehemaliger Ikonen der Männlichkeit wie Clint Eastwood imitiert und die Grenzen zwischen Mann und Frau vollends verwischen; oder vom Leben und Alter gebrandmarkte Hände, die nach oben geöffnet Almosen erwarten. Der Widerspruch: An den Fingern funkeln sündhaft teure Ringe, die sonst in der Werbung an solch makellosen Händen wie von Kaya Scodelario für die Kollektion Clash de Cartier präsentiert werden.

Inspiriert von einem Porträt von Rosa Parks, Wien, 2018, a.d.S. Americana, Motiv für Out of Order Magazine. Foto: Elfie Semotan

“Contradiction” verwirrt, provoziert, bestätigt den Titel. Es ist keine Ausstellung für zwischendurch. Es kostet Zeit und Wachsamkeit, Semotans Ästhetik und Visionen in den Fotografien zu durchdringen. Ihre eingestreuten Portrait- und Landschaftsfotografien bieten kurze Rast auf dem Grat zwischen Entfremden und Anpreisen, zwischen Anprangern und Verherrlichen in der Werbung, bevor man das Augenmerk auf Rosa Park in Highfashion richtet und die gerade wiedergewonnene Klarheit erneut zerberstet. Fordernde Gedanken und irrsinnige Fiktionen durchkreuzen noch lange meinen Kopf, während ich im Bus auf dem Weg nach Hause sitze. Links neben mir: Rosa Parks. Oder irgendein Model. Oder niemand.

C/O Berlin Foundation im Amerika Haus in der Hardenbergstraße 22-24, Elfie Semotan – Contradiction: 08.06.2019 – 07.09.2019

Autor*in

Elias Fischer

Seine Männlichkeit passt nicht ganz in den Bildausschnitt.

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