Wissenschaftsfreiheit adé!

Wenn Studierende aufgrund ihrer Forschungen des Landes verwiesen werden, ist der Spaß vorbei. Die FU muss prüfen, ob sie die Sicherheit ihrer Studierenden in Russland noch gewährleisten kann, fordert Peregrina Walter.

Internationale Beziehungen sind großartig. Man kann nie genug davon haben, besonders in der Wissenschaft. Noch besser sind langfristige und geregelte Partnerschaften. Die FU kann davon ein hübsches Liedchen singen. Über 100 bilaterale Partnerschaften mit universitätsweiter Geltung, dazu 340 Erasmus-Partner und über 50 Institutspartnerschaften – als echte Netzwerkuniversität tanzt sie stets auf allen Hochzeiten. Doch bei all den internationalen Liebeleien sollte man auch den Verstand nicht ausschalten. Denn mit wem man da kuschelt, ist nicht ganz unwichtig.

Die Staatliche Universität Sankt Petersburg (SPBU) ist seit 2012 „strategischer Partner“ der Freien Universität. Ziel einer solchen Partnerschaft ist die Zusammenarbeit auf allen universitären Ebenen: in der Nachwuchsförderung, der Entwicklung gemeinsamer Forschungsprojekte und der Gestaltung zukunftsfähiger Lehre. Jetzt wurde ein FU-Student in Sankt Petersburg der Hochschule und kurz darauf auch des Landes verwiesen. Die offizielle Begründung: illegale journalistische Tätigkeit. Lukas Latz, Master-Student der Osteuropastudien, hatte einen Artikel über Umweltaktivist*innen in Tscheljabinsk in der Online-Ausgabe der „jungle.world“ veröffentlicht. Der SPBU zufolge sei das mit seinem Studierendenvisum nicht vereinbar. Doch der Fall strotzt nur so von Ungereimtheiten.

Wissenschaftsfreiheit? Fehlanzeige

Am 28. Mai um 21:30 Uhr seien Polizisten in die Küche des Studentenwohnheims eingedrungen und hätten ihn genötigt, ein Dokument zu unterschreiben, berichtete Latz in der WELT. Darin bekennt er, illegale Interviews geführt zu haben. Er habe sich bedroht gefühlt und schnell eingewilligt. Doch Lukas Latz hat die Interviews im Rahmen seiner Masterarbeit über Umweltaktivismus in Russland geführt. Die Erlaubnis, Interviews führen zu dürfen, ist  notwendige Bedingung einer sozialwissenschaftlichen Arbeit. 

Auch dass Latz seine Erkenntnisse in einem Online-Artikel veröffentlichte, ist nicht ungewöhnlich und zeigt nur die Relevanz seiner Erkenntnisse. Schließlich hat der Master-Student in seinen Interviews Menschen eine Stimme gegeben, die in der russischen Öffentlichkeit ungehört bleiben: Umweltaktivist*innen, die sich im Ural seit Jahren friedlich gegen den Bau eines Kupferwerks einsetzen. Wissenschaft sollte nicht für die Schublade produziert werden. Schon gar nicht in der Berichterstattung über Russland, in der genügend polarisierendes Halbwissen kursiert.

Was sind das für Verträge?

Lukas Latz beklagte, keine ausreichende Begründung für seine Exmatrikulation erhalten zu haben. Dem Osteuropainstitut zufolge gab es zudem vor der Exmatrikulation keinerlei Rücksprache mit der FU. Vor dem Hintergrund massiver Verfolgung kritischer Journalist*innen und Aktivist*innen in Russland in den vergangenen Jahren stellt sich die Frage, welche Sicherheiten die Partnerschaftsverträge den Austauschstudierenden eigentlich gewähren. 

Interkultureller Austausch ist wünschenswert und ein Austauschjahr in Russland stellt gewiss eine atemberaubende Erfahrung dar, die ich jedem nur weiterempfehlen kann. Doch darf um der guten Beziehungen willen weder die Wissenschaftsfreiheit noch die Sicherheit der Studierenden geopfert werden. Die FU muss dringend ihre Verträge mit russischen Universitäten überarbeiten und sicherstellen, dass freie Forschung in Russland gewährleistet werden kann. Sonst kann es passieren, dass die hohen Grundsätze „Wahrheit, Freiheit, Gerechtigkeit“ zur Floskel verkommen. Übrigens: Die FU wurde 1948 aus Protest gegen die politische Verfolgung systemkritischer Studierender an der damaligen Universität Unter den Linden gegründet. Am Anfang der FU-Geschichte steht die Bekenntnis zur freien Wissenschaft. Ein Grundsatz, den Verantwortliche sich zu Herzen nehmen sollten.

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1 Response

  1. Alexandra sagt:

    Jawoll! Ich finde auch dass sich die FU da nicht der Verantwortung entziehen kann. Auch in einer Partnerschaft muss es einmal krachen!

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