Die ewige Vergänglichkeit

Im Festvortrag zur Eröffnung des Einstein-Zentrum „Chronoi“ sprach der Ägyptologe Jan Assmann über Zeitvorstellungen der Menschheit – und mit Marcel Jossifov sowie Carry-Ann Fuchs auch über sein persönliches Zeitempfinden.

Die Pyramiden von Gizeh der alten Ägypter scheinen zeitlos, obwohl Menschen dort sehr konkrete Zeitvorstellungen hatten. Bild: Pixabay.

Kaum etwas spielt für die Menschheit eine so große Rolle wie die Zeit. So pflegt Robinson Crusoe selbstverständlich inmitten seines Überlebenskampfes auf einer einsamen Insel einen Kalender. Es wäre ja fatal, verpasste er den freien Sonntag. Mit Zeitrechnungen beschäftigt sich auch der Ägyptologe Jan Assmann bei der Eröffnung des Einstein-Zentrum „Chronoi“ am Campus der Freien Universität Berlin. Er gibt einen Überblick menschlicher Zeitvorstellungen vom Alten Ägypten bis zum heutigen Europa.

Das altägyptische „YOLO“

Wie viele antike Hochkulturen hatten die alten Ägypter*innen eine eigene Idee von Zeit. Aber im Gegensatz zu vielen anderen unterschieden sie strikt zwischen der vergehenden Zeit „Neheh“ und der dauerhaften Zeit „Djet“. Was die Zeitform „Djet“ so interessant mache, sei ihre Moralisierung, meint Assmann. Die alten Ägypter*innen waren der Ansicht, nur moralisch vollkommenes Handeln sei  unvergänglich. Wer mit dem Tod also nicht spurlos verschwinden wollte, musste „nachhaltig“ leben.

Doch in der antiken Hochkultur durfte um diese Lehre auch gestritten werden. Ptahhotep, Wesir und Stadtverwalter im Alten Ägypten, meinte etwa, man solle im Leben auf sein Herz hören, den Augenblick genießen und sich nicht um die Fortdauer sorgen. Und im altägyptischen Epos „Gilgamesh“ heißt es gar: „Mache jeden Tag zum Fest! Tanze und spiele bei Tag und bei Nacht!“ Quasi das altägyptische “YOLO”.

Die christliche Feiertagsstruktur

In der westlichen Tradition hingegen unterteilt man die Zeit in Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft. Dadurch unterscheidet sich unser Zeitverständnis von dem der alten Ägypter*innen. Beiden Kulturen sei es jedoch gemein, dass die Zeit nicht losgelöst vom Menschen gedacht wird, so Assmann. Zeit werde immer aus der Perspektive des Menschen betrachtet; also als das, „was ist“, oder als das, „was gewesen ist“, merkt der Ägyptologe an.

Unsere heutige, durch das christliche Kalenderjahr geprägte Zeitrechnung wird durch ihre Feiertage gegliedert, führt Assmann weiter aus. Die Feiertage erfüllen dabei eine Doppelfunktion. Zum einen geben die zyklisch wiederkehrenden Riten der Zeit eine Struktur und den Menschen ein Gefühl der Zusammengehörigkeit. Zum anderen bilden aber insbesondere die Sonntage, die ursprünglich dem Gedenken an Jesu Werke gedacht waren, auch eine Konstante. Man beschäftigt sich schließlich fortlaufend mit einer Jahrtausende alten Lehre.

Assmann übers Altern

Beim anschließenden Empfang gab Assmann der FURIOS einen Einblick in sein ganz persönliches Zeitempfinden. Für ihn vergehe die Zeit mit dem Alter gefühlt immer schneller, so der Ägyptologe. Ursächlich sei dafür aber nicht das Alter selbst, sondern der Umstand, dass man immer weniger Neues zu entdecken habe.

Den gegenwärtigen Umgang mit der Zeit sieht er kritisch. „Heutzutage sind die Grenzen zwischen Alltags- und Festkultur verwischt. Tagtäglich wird konsumiert und der Konsum zum Fest gemacht“, so Assmann. Das führe dazu, dass die Bedeutung der Feste verloren geht, bedauert der Ägyptologe. Möglicherweise sollten wir uns im Leben also nicht nur am altägyptischen Epos „Gilgamesh“ orientieren.

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