Ohne Liebe Ewigkeit

Robert Borgmann holt den Roman Die Möglichkeit einer Insel von Michel Houellebecq auf die Bühne des Berliner Ensembles. Carry-Ann Fuchs hat es sich angesehen.

Die Zukunft ist rosa. Bildmontage / Foto: © JR Berliner Ensemble. Illustration: Joshua Leibig.

Wir befinden uns im fünften Jahrtausend. In Folge von Kriegen, Atomexplosionen und einer Verschiebung der eigenen Achse hat sich die Erde klimatisch und geologisch stark verändert. Die Menschheit ist entzweit: die Neo-Menschen da und die Wilden dort.

Die „Wilden“:  Sie leben in den Ruinen des 21. Jahrhunderts. Ihre Stämme sind klein, stark hierarchisch organisiert. Und sie sind diejenige Gattung Mensch, die sich noch fortpflanzt, wobei das Anrecht, sich mit Weibchen zu paaren, dem Häuptling vorbehalten ist.

Die Neo-Menschen sind eine – durch gentechnische Veränderungen entstandene – neue Menschenart. Ihren Energiebedarf decken sie durch Fotosynthese. Sie leben abgeschottet von der Außenwelt, kommunizieren mit anderen Neo-Menschen nur noch per Internet – ohne jeglichen persönlichen Kontakt. Die Fähigkeit, Emotionen zu zeigen, ist stark reduziert. Stirbt ein Neo-Mensch, findet keine Beisetzung statt, stattdessen wird in “Central City” eine Kopie erzeugt. Jede neue Kopie ist besser als die vorangegangene – perspektivisch gesehen schafft sich die Menschheit ab und räumt das Feld für den Übermenschen.

Die Ewigkeit ist rosa

So der Inhalt der Romanvorlage, an der der Regisseur Robert Borgmann leider scheitert. Denn die Inszenierung lässt vieles aus, was die Handlung des Romans zu bieten gehabt hätte. Der Fokus der Inszenierung liegt auf Daniel 1. Eine Figur, wie sie aus Houellebecqs Romanen bekannt ist: eine gescheiterte Persönlichkeit. Daniel scheitert an dem, was für das Leben wesentlich ist: der Liebe. 

Daniel 24, der als Neo-Mensch das eigentlich Innovative und Neue an Houellebecqs Roman darstellt, taucht zu Beginn des Stückes kurz auf der Bühne auf. In einem Monolog reflektiert er das Leben von Daniel 1,denn als 24. Inkarnation von Daniel 1 kennt er dessen Vita genau. Der Lebensbericht von Daniel 24 wird wiederum an Daniel 25 weitergeben, der im Moment des Todes von Daniel 24 in der Hightech-Station, der Reproduktionsstätte der Klone, erscheint. 

Die Langeweile des „ewigen Lebens“ ist den Nachfolger-Versionen von Daniel 1 ins Gesicht geschrieben, doch sie stört das nicht. Die Ewigkeit ist eben rosa und sich selbst wahrzunehmen das Schicksal der langsam aussterbenden “Wilden”. Menschliche Gefühle mussten im Zuge der Selbstoptimierung schließlich weichen.

Im Publikum nur Neo-Menschen?

Wenn eine Inszenierung nicht an der Vorlage klebt, kann das sehr erfrischend sein. Wenn das aber zur Folge hat, dass der Abend ohne zusätzliche Lektüre nur schwer nachzuvollziehen ist, dann ist das Bemühen, die Zuschauenden in die Geschichte eintauchen zu lassen, gescheitert: Anstatt den Inhalt des Romans aufzuarbeiten, entscheidet sich der Regisseur trotzdem dafür, die vierte Wand für ganze 20 Minuten zu durchbrechen und das Publikum derweil mit einer Theoriestunde in Kunstgeschichte zu langweilen. 

Sichtlich ermüdet blicken leere Gesichter auf die dozierenden Schauspieler*innen. Auf Fragen gehen ein paar wenige Zuschauer*innen aus den vorderen Reihen ein. „Egal das stehen wir jetzt zusammen durch“, so das Statement des Schauspielers.

Erfolgreich hingegen war der Versuch, dem Publikum die Langeweile der Daniel-Kopien 2 bis 25 näher zu bringen. Offensichtlich sollte auf der Meta-Ebene vermittelt werden: Ein Großteil des Publikums befindet sich bereits auf dem Weg zum Neo-Menschen. 

Die nächste Vorstellung findet am 13.11.19 um 19:30 Uhr statt. Karten und weitere Infos erhaltet ihr hier.

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