Krankhaft einsame Zweisamkeit

Absurdität ist das aktuell beliebteste Gewürz des Horrorgenres. Auch das neue Werk Robert Eggers’ “Der Leuchtturm” bedient sich dessen. Elias Fischer hat sich den Film angeschaut und den Geschmack rezensiert.

Der stoische Thomas Wake (Willem Dafoe, links) und der ehemalige Holzfäller Ephraim Winslow (Robert Pattinson, rechts) im ständigen Konflikt. Foto: UPI Media, Credit : A24 Pictures, Montage: Elias Fischer, Illustration: Joshua Leibig

Der erste Blick wandert ins Nichts, das als weiß-gelblicher Farbton über den Kinobildschirm flackert. Ein Rauschen setzt ein und durchzieht bedrohlich den Saal. Es ist das Rauschen rauer See, deren schäumendes Wasser sich schwermütig gräulich schwarz vom tiefen Nebel absetzt und das Nichts langsam durchbricht. Ein tiefer Signalton ertönt. Zwei männliche Gestalten erscheinen, mit dem Rücken zu einem gewandt, auf der Galion eines kleinen Dampfers. Die Geräuschkulisse wirkt einschüchternd, die Figuren fremd. Am Horizont erscheint die Silhouette einer Insel und ein Gefühl der Einsamkeit ist für die Zuschauer*innen spürbar wie für die Männer die salzige Feuchte im Gesicht.

“Der Leuchtturm” von Regisseur Robert Eggers führt Thomas Wake (Willem Dafoe) und Ephraim Winslow (Robert Pattinson) auf eine verlassene Insel vor dem Festland Maines, dem nordöstlichsten Bundesstaat der Vereinigten Staaten. Grobe Felsen prägen die Küste, an der die beiden vier Wochen lang gemeinsam dafür sorgen sollen, dass ein Leuchtturm beständig sein Licht in die Weiten der See wirft. Doch nach der Landung kristallisiert sich schnell eine Hierarchie heraus: Der knorrige, vom Alkohol gezeichnete Vorarbeiter Wake degradiert den jungen Winslow zu seinem Handlanger und fordert die Wache am Licht als allein seine Aufgabe ein. Dem ehemaligen Holzfäller aus Kanada Ephraim, dessen Lohn vom Wohlwollen Wakes abhängt, bleibt nur die Drecksarbeit: Fäkalien entsorgen, schrubben, heizen.

Der Samen des Wahnsinns

Eggers schafft in seinem expressionistisch anmutenden Schwarzweißfilm eine beklemmende Atmosphäre. Das gewählte, fast quadratische Bildformat von 1,19:1, das vom heutzutage häufig verwendeten 16:9 deutlich abweicht, unterstreicht den verlassenen, einsamen Charakter der Insel und sperrt die Zuschauenden in Unbehagen. Stetig wiederkehrende Szenarien verdeutlichen die Ausweglosigkeit der Wärter: Winslow, wie er immer wieder vor statischer Kulisse einen Sackkarren über die Insel schiebt; wie er voll Groll den Ofen anheizt; wie beide jeden Abend dinieren, Wake redend, Winslow wortkarg. Scharfe Kontraste, besonders bei Close-Ups der Protagonisten, tun ihr übriges zur Tristresse.

Schauspielerisch hervorragende Leistungen vollenden die Düsterkeit und Dramaturgie. Dafoe mimt im Film, der technisch an Stummfilme wie Metropolis erinnert, den wahnsinnigen Leuchtturmwärter, als sei er der getriebene Käpt’n Ahab aus Melvilles “Moby Dick” höchstpersönlich. Das Verdorbene in seinen Augen, die Verwirrtheit in seinen mit Seemannsweisheiten gespickten Monologen und die krampfhafte Männlichkeit verleihen Wake ein furchteinflößend unsympathisches Gesicht; eines, das in einem unweigerlich Wahnsinnigkeit, die bereits in Wake lebt, sät. So geschah es, wie Winslow später von Wake erfährt, mit seinem Vorgänger und letzten Endes mit ihm selbst. Pattinson schafft es in jeder Sekunde, die Geisteskrankheit und Verachtung gegen seinen Vorgesetzten – ausgelöst durch die Eintönigkeit und Niederträchtigkeit seiner Arbeiten – in seinen Augen funkeln zu lassen.

Den jungen Winslow plagen in seiner Vereinsamung stetig stärker werdende Halluzinationen von einer Meerjungfrau, mit der er ein erotisches Verhältnis eingeht und vom ehemaligen Handlanger Wakes, den die Zweisamkeit mit Wake in den Tod trieb. Zu Beginn noch abstinent gibt er schließlich dem Alkohol nach, unter dessen Wirkung sich eine ekelerregende Intimität zwischen beiden einstellt. Ekelerregend, weil sie mit starkem Misstrauen seitens Ephraims gegenüber Wake einhergeht.

Die erloschene Ablöse

Nach vier Wochen naht Erlösung: Es ist der Tag der Abreise. Doch die beiden warten vergeblich an der Küste, die an jenem Tage starker Brandung trotzen muss. Ein schwerer Sturm verteidigt das Ufer gegen landende Boote und verdammt die beiden dazu, weiter miteinander auszuharren. Der Alkoholkonsum wird exzessiv, der Machtkampf brutal und die Wahnvorstellungen selbstzerstörerisch; ständig begleiten vom dumpfen Heulen des Leuchtturms.

“Der Leuchtturm” ist ein moderner Horrorfilm eingebettet in den Augenschein längst vergangener Filmzeiten. Der Mut zum kompakten Bildformat, zum Schwarzweißen und die Akribie bei Belichtung und Kameraposition, deren Verdienst vor allem Jarin Blaschkes ist, machen diesen Film technisch und ästhetisch äußerst wertvoll; gepaart mit einem ausgezeichneten Cast zu einem Kunststück.

Autor*in

Elias Fischer

Seine Männlichkeit passt nicht ganz in den Bildausschnitt.

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