Ein Fest wie ein Tischbein

Elias Fischer hat Familie. Und die will zu Weihnachten besucht werden, komme was wolle. Ein Kommentar über das beschissenste Spiel der (Vor-)Weihnachtszeit. 

Es ist Dezember. Gerade hat man das Laptop aufgeklappt, die Pages der Deutschen Bahn, Flixbus und Blablacar aufgerufen, links den Kalender und rechts das Handy bereitgelegt. Das Radio posaunt „Driving Home For Christmas” – es ist der Startschuss für das beschissenste Spiel der Vorweihnachtszeit: das Zug-Bus-Auto-Tetris mit den Bausteinen Eltern, Geschwister, Schwäger*innen und anderen ominösen Verwandten.

Scheidungskinder überkommt vermutlich gerade der Schüttelfrost. Denn die ohnehin ätzende Weihnachtsreiseplanung zerrt besonders kräftig am Nervenkostüm, wenn die Eltern fleißig Partnerroulette spielen. Überall hinterlassen (neue) Beziehungen eine Stecknadel auf der Landkarte. Die Stecknadeln: Geschwister, die sich aus den Fesseln der elterlichen, nomadischen Lebensweise befreien, den nächsten Umzug nicht mehr antreten und sesshaft werden; Geschwister, die sich eines Tages für ein Leben beim anderen Elternteil entscheiden; der eigene Aufbruch zum Studium in einer Abiturient*innen-Karawane, der die geographische Zerhackstückelung munter vorantreibt.

Ich, der Troll

Weil man mittlerweile der einzige Troll im Familienbrimborium ist, der sich noch nicht fortgepflanzt oder für den Hausbau entschieden hat, sitzt man alle Jahre wieder vorm Endgerät, um die Odyssee von A über B, C nach D und zurück zu takten. Es folgen zig Telefonate. Mit jedem Anspruch, den eine Personen erhebt, nähert sich die Galle dem Lippenanschlag. Mama fragt, weshalb man Heiligabend so spät komme. Papa plant am zweiten Weihnachtstag mit einem, Geschwister am ersten. Der eigene Wunsch, dass sich alle an einem Ort treffen und die Anreise niemanden strapaziert, wird gekonnt ignoriert. So hält man auch dieses Jahr den Schwarzen Peter, kalkuliert Fahrtzeiten, wechselt von Bahn zu Bus zu Draisine, um kurzfristig doch noch umzudisponieren. An der Schläfe schlägt es 180.

Steht die Reise irgendwann, steigt der Blutdruck ein weiteres Mal, denn: Die Fahrten und Albträume sind aus demselben Stoff. Mitfahrgelegenheiten erweisen dir einen Bärendienst und vergeben den Bitchseat, obwohl übervolle Taschen die Karosse bereits sprengen. Stau ist vorprogrammiert: links das schnarchende Riesenbaby, rechts die Tratschtante, vorne ein Duo, das fremdes Fahrverhalten wenig wohlwollend analysiert. Im Bus erhascht man nur den Platz an der dezent nach Pisse müffelnden Toilette. Der*die Nachbar*in hat Frikadellen auf Basis eines ganzen Zwiebelbeetes dabei und natürlich schlummert in ihr*ihm ein Schmatztalent, das sie*ihn liebevoll Hackbomben spucken lässt. In der Bahn gibt es nicht mal einen Platz. Auf der Suche feuert aber immerhin der Quengelchor „Kleine Satansbraten” an. Ist ein Platz gefunden, beschwert sich Renate hinter dir über Verspätungen, während Wolfgang vor dir wiederholt die Sitzlehne verstellt und deine Kniescheiben freundlich grüßt. Die ganze Tortur nur für die verfluchte Verwandtschaft!

Gans gut, alles gut?

Zu jeder Ankunft bei anderen Verwandten an anderen Orten ballern diese zu allem Überfluss alle aus dem Floskelcolt: „Angenehme Reise gehabt? Spät bist du, die Gans ist fertig!” Dann heißt es, Contenance zu wahren, doch innerlich brodelt es: „Du olle Trulla, du speckiger Zampano. Gnade dir Gott, wenn die fucking Gans nicht gut schmeckt! Sonst war es das letzte Mal, dass ich hier aufschlage.” Am Ende gibt es an der Gans nichts auszusetzen, doch fühlt sich die Reise jedes mal an wie das Tischbein für den kleinen Zeh, wie ein Kneifzangenpilo für die Brustwarze.

Autor*in

Elias Fischer

Seine Männlichkeit passt nicht ganz in den Bildausschnitt.

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