Was wir in Filmen sehen und durch sie fühlen, lässt sich nicht immer leicht ausdrücken. Die Forschungsgruppe Cinepoetics sucht nach Wegen, audiovisuelle Bilder in den Kontext zur Wirklichkeit zu setzen. Julia Hubernagel hat bei einer Podiumsdiskussion zugehört.
Der Film ist aus. Sprachlos schließen wir das Browserfenster oder treten aus dem Kino hinaus in die echte Welt. In unserem Hirn arbeitet es. Was haben wir da eigentlich gerade gesehen?
Wissenschaftlich kann man sich dieser Frage durchaus annähern. Auch an der FU wird Filmwissenschaft als Studium angeboten. Dass es trotzdem nicht einfach ist, über Filme adäquat zu kommunizieren, weiß auch die Kolleg-Forschungsgruppe „Cinepoetics – Poetologien audiovisueller Bilder“. Ziel der Forschungsgruppe sei es, „die Poiesis des Filme-Sehens theoretisch und methodologisch zu erfassen und in ihren Implikationen zu beschreiben“, heißt es auf ihrer Homepage. „Cinepoetics“ hat dazu eigens eine Podiumsdiskussion veranstaltet: Über das „Schreiben mit visuellen Medien“ diskutierte kürzlich eine Expertengruppe in der Deutschen Kinemathek.
Keine Angst vor Laienkritik
Film, so sind die „Cinepoetics“ überzeugt, muss sich seinen Weg zur Sprache bahnen. Bedeutung gewinnt er erst, wenn er diskutiert und kritisiert wird und in eine Beziehung zur Welt, zu anderen Filmen, Künsten und Menschen tritt. „Der Film endet nicht einfach, wenn wir den Laptop zuklappen“, sagt Eileen Rositzka, die als Wissenschaftliche Mitarbeiterin bei „Cinepoetics“ tätig ist. Dabei brauche es nicht unbedingt Fachwissen, um über Filme sinnvoll zu sprechen, meint der Journalist und Filmschaffende Christoph Hochhäusler. „Zu einem Gespräch über einen Film lädt man am besten keinen Regisseur oder jemanden, der die Deutungshoheit besitzt, ein. Sobald man alles sagen kann, wird’s schön.“ Gerade die multi-perspektivischen Seitenblicke seien interessant.
Und wie sieht es mit dem Schreiben über Filme aus? Der Romanautor und bei „Cinepoetics“ mitwirkende Filmwissenschaftler Daniel Illger zieht Parallelen zum kreativen Schreiben. „Je älter ich werde, desto weniger nehme ich den Unterschied zwischen wissenschaftlichem und literarischem Schreiben wahr. Beides geht nur mit dem richtigen Gefühl und mit einer gewissen Auflösung des Selbst“, meint er. Auch die Erwartungshaltung sei ähnlich. „Es wäre ja langweilig, wenn am Ende genau das herauskommt, was ich mir am Anfang mal gedacht habe.“
Nicht nur mit Sprache dem Gesehenen näher zu kommen, stellt sich übrigens als schwierig heraus. Auch das geschriebene Wort filmisch darzustellen, erfordert Fantasie. „Es gibt Wörter wie ‘als’ und ‘plötzlich’“, erzählt Christoph Hochhäusler, „dazu muss ich erst mal Szenen schreiben, die diese Wörter zeigen.“ Konjunktionen und Adverbien besitzen also die Macht, die Stimmung von Filmsequenzen nachhaltig zu beeinflussen.
Zukunftsmusik: Film oder Wirklichkeit?
Die „Cinepoetics“-Forschungsgruppe geht dem Verhältnis von Film und Realität auch weiterhin interdisziplinär nach. Gemeinsam mit Medienwissenschaftler*innen, Psycholog*innen, Philosoph*innen und Sprachwissenschaftler*innen, aber auch Kunstschaffenden selbst will die Forschungsgruppe den Diskurs filmischer Bilder erweitern und veranstaltet daher regelmäßig Vorträge und Filmvorstellungen. Audiovisuelle Bilder dürften in Zukunft immer realistischer werden und Augmented Reality die Grenze zwischen Fiktion und Wirklichkeit weiter verwischen. „Wir gehen ins Kino, um auf Vorrat zu leben“, meint Christoph Hochhäusler. „Währenddessen schalten wir uns selbst zwar stumm, haben aber dafür vielleicht den Nil gesehen“ – oder gegen Untote gekämpft oder ein Raumschiff durch die Galaxis navigiert. Ob es in Zukunft dann noch wichtig ist, das Gesehene gar nicht selbst erlebt zu haben?