Märchen der fließenden Welt

In der Ausstellung „Figuren der fließenden Welt“ im Georg-Kolbe-Museum durchbrechen Asana Fujikawa und David Hockney die „dominante Rationalität“. Gregory Gutmann hat sich angeschaut, mit welchen Kunstgriffen gearbeitet wurde.

Asana Fujikawa, Maria, 2019, Keramik. Foto: Stephan Vavra

Das Georg-Kolbe-Museum ist einer von rund 30 Kulturpartner*innen, die im Rahmen des Gasthörercardprogramms mit der FU kooperieren.

In drei Werkzyklen erforscht Asana Fujikawa seelische Veränderungen. Sie basieren auf eigens erdachten Märchen, deren Charaktere sie hingebungsvoll mit Keramikfiguren zum Leben erweckt. Dem gegenüber stehen düster wirkende Radierungen von David Hockney, die sich mit der Psychologie hinter den bekannten Grimm-Märchen auseinandersetzen. Die Ausstellung läuft bis zum 12. Januar in dem kleinen Georg-Kolbe-Museum in Westend.

Die alles verändernde Zeit

Fujikawas Werke strahlen auf den ersten Blick Leichtigkeit aus, doch sind ihre Geschichten, wie die Realität, von glücklichen wie traurigen Elementen geprägt. Holzfäller verwandeln sich in einem vergifteten Wald langsam in Bäume, während zwei Mädchen die Besonderheiten dieser Natur leichtsinnig zu ihrem Vergnügen nutzen. Sie sammeln kleine Waldtierchen, die sie während eines sexuellen Aktes, bei denen ihnen wohlriechende Blume aus dem Kopf wachsen, zerstampfen.

Bevor sie ihre Figuren modulierte, zeichnete Fujikawa ihre Märchen in Bilderfolgen auf, die in der traditionellen, japanischen Stilrichtung Ukiyo-e („Bilder der fließenden Welt“) stehen. Zentral für diese Epoche war das Motiv der Vergänglichkeit. Zeit fließt um alles Bestehende und verändert es grundlegend. Auch Fujikawa greift diesen Gedanken in ihren Erzählungen auf, wenn sie facettenreich erforscht, wie wir mächtige Einflüsse unserer Umgebung bewältigen und uns verändern.

Die Werke Hockneys wirken im Gegensatz zu Fujikawas ausladenden Figuren zentrierter. Nur selten enthalten seine Bilder einen räumlichen Blickwinkel. Wie in seinem bekannten Gemälde „Portrait eines Künstlers“ versucht er auch bei diesen Radierungen, die menschlichen Tiefen hinter der reinen Oberfläche zu ergründen. Wenn Rumpelstilzchen in einer Maria-Gestalt das gewonnene Baby hält, so kann es auch als Aufforderung an den Betrachtenden verstanden werden, verfestigte Perspektiven zu verlassen und Andersartigkeit anzunehmen.

Bruch mit der Rationalität

Die Kuratorin Dr. Matilda Felix faszinierte, wie beide Künstler*innen Erzählungen in eine grafische Ebene übertrugen und Fujikawa dann darauf aufbauend ihre Keramikfiguren entwickelte. Märchen als Ausgangspunkt hätten dabei beiden Kunstschaffenden ermöglicht, aus einer „sonst dominanten Rationalität auszuscheren.“ Dennoch würden sie den Betrachtenden aufgrund ihrer bekannten Form, einen leichten Einstieg in mythische Erzählungen ermöglichen. Beide Künstler*innen scheinen dabei von dem Verlangen geprägt zu sein, die Schichten unter dem offensichtlich Wahrnehmbaren zu ergründen und die Herausforderungen des Lebens nachzuerzählen.

Bevor sich Volksmärchen in ihrer heute bekannten Form verfestigten, wurden sie in einem direkten Austausch zwischen Erzähler*in und Zuhörer*in weitergegeben. Sie dienten dabei einer Auseinandersetzung mit der sozialen Umwelt und passten sich gesellschaftlichen Veränderungen an. In dieser Tradition steht Fujikawa, wenn sie Besuchenden ermöglicht, Geschichten in einem direkten Kontext zu erleben und sich mit ihren Figuren zu unterhalten.

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