Der professionelle Modus

Caterina Granz ist Leichtathletin und studiert seit kurzem Psychologie im Master. Im Sport lastet ständiger Druck auf ihr, im Studium beschäftigt sie sich mit der Psyche – eine erfolgversprechende Kombination? Ein Portrait.

WM-Teilnehmerin in Doha 2019, Caterina Granz. Foto: Tim Gassauer.

Es ist der 15. August 2019 – Leichtathletik-Meeting im polnischen Stettin. Die Mittelstreckenläuferin Caterina Granz hat noch einmal die Chance, die Norm für die im Oktober anstehende Leichtathletik-WM in Doha zu erfüllen: 1500 Meter in knapp 4 Minuten. »Vor Ort traf ich viele Läuferinnen auf ähnlichem Niveau«, erzählt Caterina. »Alle wollten die Norm für Doha rennen. Das Ziel war also eindeutig.« Viele der Konkurrentinnen kennt die 25-Jährige. Wenn sie sich sehen, ist die Atmosphäre stets freundschaftlich. Es gehe ihr besser, wenn sie »den Druck teilen kann«, sagt Caterina.

Denn Druck lastet ständig auf Caterina. Bereits Tage vor den Wettkämpfen hinterfragt sie Entscheidungen, die ihre Form an der Startlinie beeinträchtigen könnten. An solchen Tagen fühle sie sich wie unter einer Glocke, alles wirke gedämpft, beschreibt die Athletin. »Ich bin dann gedanklich sehr eingeengt, erwische mich dabei, dass ich abschweife und nicht mehr so richtig anwesend bin.« Negative Gedanken verfolgen sie oft bis an die Startlinie. Doch jede*r zweifle, auch Olympiasieger*innen, sagt Caterina. Im Leistungssport müssten alle lernen, damit umzugehen.

Mit persönlicher Bestzeit zur WM

In Stettin geht sie dennoch selbstbewusst an den Start, die Saison ist gut gelaufen. »Ich wusste, was ich kann«, reflektiert Caterina. Dann geht es los: Der Lauf ist hart für die Sportlerin, aber endet schnell. Schneller als jeder andere über diese Distanz in ihrer Karriere. Sie stellt mit 04:05,60 Minuten eine neue persönliche Bestzeit auf und sichert sich die WM-Teilnahme. Für Caterina ist damit ein großes Ziel erreicht. »Der Druck der Jahre und letzten Monate, den ich mir selbst aufgebaut hatte, fiel ab und ich habe geweint.«

Heute wirkt Caterina gelöst. Es ist Dezember, erst kürzlich ist sie vom Vorstand des Allgemeinen Deutschen Hochschulsportverbands zur Hochschulsportlerin des Jahres 2019 gekürt worden. Die 25-Jährige studiert im Master Psychologie an der Fernuniversität Hagen. Nachdem sie im Sommer ihren Bachelor an der FU mit einer Arbeit zu »Schritten aus der Depression« abgeschlossen hatte, erfüllte sie den Numerus Clausus für den Master an der FU nicht. »Der Fokus liegt bei mir auf dem Sport«, sagt Caterina. Trotzdem möchte sie im nächsten Jahr an die FU zurückkehren, um ihren Master zu beenden. Leistungssport und Studium – überfordert sie das nicht? Nein, sagt sie. Das Studium nehme ihr den Druck im Sport, der Sport den im Studium.

Mensch gegen Maschine

Caterina wuchs im brandenburgischen Glienicke auf und begann früh, ihre körperlichen Fähigkeiten auszureizen. Im Kindesalter habe sie Tennis gespielt, »weil meine Eltern Tennis spielten«, sagt die Leistungssportlerin. Häufig maß sie sich mit ihrem zwei Jahre älteren Bruder Maximilian. »Wir sind am Strand um die Wette gelaufen«, erinnert sich der. Auch er hat sich auch dem Laufen verschrieben. Doch Caterina sei immer etwas extremer gewesen. Seine Schwester sei in der Kindheit die Hofeinfahrt des Elternhauses hoch und runter gesprintet: »Das Ziel war, schneller als die vorbeifahrenden Autos zu sein«.

Durch ihre Ausdauer beim Tennis und einen Sieg in einem schulischen Crosslauf über vier Kilometer macht die Schülerin 2008 auf sich aufmerksam. Detlef »Jive« Müller spricht sie an. Er ist Trainer der Leichtathletikgemeinschaft NORD Berlin. »Dann dachte ich«, erzählt Caterina, »dass ich es einfach ein bisschen ausprobiere.« Jive, der bis heute ihr Trainer ist, erinnert sich an seinen ersten Eindruck von Caterina: »Hör auf mit Tennis! Sie hatte einfach eine Läufer*innenfigur, einen guten Schritt, einen guten Abdruck.« Letztlich, so die Hochschulsportlerin, sei sie dabei geblieben, weil ihr der Sport Spaß macht. Und, weil sie von klein auf gelernt habe, immer Höchstleistungen zu bringen. »Für gute Leistungen erhielten wir stets Zuspruch von unseren Eltern.« Sie glaubt trotzdem, den meisten Druck mache sie sich selbst, nicht ihre Eltern.

Seit mehr als elf Jahren läuft Caterina nun über die Tartan- und Geländebahnen und misst sich mit der Konkurrenz – in Deutschland, Europa und seit 2019 erstmals auch weltweit: Erst ging sie über 800 Meter und bei Crossläufen, später hauptsächlich über 1500 Meter an den Start. Die Saison 2019 ist bis dato ihre erfolgreichste gewesen. Ein Blick in die Bilanz der vergangenen zwölf Monate über ihre Paradedisziplin zeigt, weshalb: Bronze bei den Hallenmeisterschaften in Leipzig Mitte Februar, Gold im Juli bei der Sommer-Universiade in Neapel, Titelgewinn bei den Deutschen Meisterschaften im August und eben jene WM-Norm in Stettin.

Der Lauf gegen die eigenen Gedanken

Die Resultate decken sich derzeit mit ihrer Erwartungshaltung. »Ich werde immer 100 Prozent geben müssen«, sagt Caterina. Ihre Wettkampfdisziplin erfordere, dass sie jedes Mal an ihre körperlichen Grenze gehe. Auf den letzten 200 Meter stellten sich deshalb bei früheren Wettkämpfen oft Probleme ein, wenn sie mit voller Kraft auf die Zielgerade einbog. »Die Spannung im Körper konnte ich nicht in die Vorwärtsbewegung bringen, sondern verkrampfte, wodurch die Luftzufuhr nicht richtig funktionierte.« Bei einem Wettkampf in Karlsruhe 2018 überholte sie eine Konkurrentin auf den letzten 200 Metern, Caterina holte sie nicht mehr ein. »Ich habe komplett zugemacht, wusste nicht, wie ich es bis zum Ziel überstehen soll«, erzählt sie. Im Ziel verdrehten sich ihre Augen, Anwesende wollten den Krankenwagen rufen. »In dem Moment habe ich realisiert, was es ausmacht, wenn dich jemand überholt. Das hatte einen mentalen Aspekt, vor allem dieser Druck auf den letzten Metern.«

Überhaupt ist der Sportlerin mentaler Druck nicht fremd. »Irgendwann habe ich festgestellt, dass ich extrem gute Leistung im Training gebracht habe, das aber nicht ins Rennen übersetzen konnte«, sagt sie. Eine Lösung musste her. In der Sportpsychologie der Humboldt-Universität arbeitete Caterina bereits als studentische Hilfskraft, also entschloss sie sich, auch als Läuferin mit einer Sportpsychologin zusammenzuarbeiten. Die Therapie wirkte: Innerhalb kurzer Zeit bemerkte sie riesige Fortschritte. Sie lernte nicht nur neue Visualisierungs- und Entspannungstechniken kennen, sondern auch Persönlichkeitsübungen: »Da überlege ich: Was gibt es für Stimmen in meinem Kopf – die Zweifel, die Bewerterin, das Vertrauen.« Caterina ist sich sicher, dass die Therapie nicht nur ihre Leistung verbessert, sondern auch ihr Gemüt. Seitdem sei sie ein »glücklicherer Mensch.« Der mentale Wandel ist auch Jive nicht entgangen, »Cati« sei nun stabiler.

»Das ist dann ein professioneller Modus«

Caterina Granz

Sie selbst nutzt mittlerweile einen kleinen Trick: »Wenn ich mir selber vornehme, heute nur 95 Prozent zu geben, laufe ich schneller«. Denn in dem Moment, in dem man die Leistung erbringen muss, sei es am besten, jeglichen Druck abzulassen. Wieder scheint der Erfolg ihr recht zu geben. Doch kann sie den überhaupt bewusst genießen? In Drucksituationen ist Caterina sehr fokussiert, blendet alles aus, so ihr Bruder. »Das ist dann ein professioneller Modus«. Manchmal erschwere der hr aber, Erfolge wahrzunehmen. Wie fühlt es sich für die Sportlerin an, zu gewinnen? Eine »krasse Reizüberflutung; Gefühlschaos, das wie eine Droge wirkt«.

Ihr sei wichtig, für einen Moment innezuhalten und sich vor Augen zu führen, was sie schon erreicht hat. »Damals habe ich mir geschworen, wenn ich da angekommen bin, wo ich jetzt bin, dann werde ich zufrieden sein. Dann werde ich die Sportlerin sein, die happy ist, wie es gerade läuft.« Dennoch erwische sie sich dann immer wieder, dass sie nach noch Größerem strebe. »Grundzufriedenheit würde dazu führen, dass ich nicht mehr weitermachen kann.« Denn um weiterzumachen, brauche es immer das nächste, größere Ziel.

Ein ausgewogenes Maß an Druck zu finden sei jedoch schwierig. Sie kenne viele Sportler*innen, »die darunter leiden oder sich selber versklaven«. Caterina meistert den Balanceakt, auch mithilfe ihres familiären Umfeldes. Dort rücken auch mal andere Themen in den Fokus. »Dann merkt man immer: So wichtig ist das alles nicht.« Trotzdem muss sie an vielen Ecken verzichten. Sind ihre Freund*innen bis spät nachts unterwegs, steckt Cati früh am nächsten Morgen schon wieder in den Laufschuhen.

Ihre Zukunftsziele verlangen ihr Verzicht, Disziplin und Kontrolle ab. In puncto Kontrolle herrscht laut ihrem Bruder Maximilian jedenfalls Klarheit: »Sie ist immer die Chefin«. Langfristig gesehen könne sie sich eine eigene Familie mit Kindern gut vorstellen. Beruflich möchte sie »gar nicht in Richtung Sport gehen«, sondern in die Psychologie. Bis dahin hegt sie weiterhin große Ambitionen als Athletin. Ihr nächstes Ziel: Tokio, Olympia 2020.

Autor*innen

Elias Fischer

Seine Männlichkeit passt nicht ganz in den Bildausschnitt.

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