FURIOS VERLUSTIERT SICH: #coffeetime #qualitytime #friendshipgoals

Im Alter nehmen sich viele Menschen mehr Zeit für Schönes, wie etwa ein Stück Kuchen, einen heißen Kaffee oder eine gute Unterhaltung. Doch diese Gewohnheiten und Auszeiten sind nicht nur etwas für Menschen über 70, meint Johannes Bauer.

Ein Mann mit Kaffee, so entspannt, als könnte er “Wetten, dass…?” moderieren. Foto: Neil Moralee/flickr, CC-BY-NC-ND, keine Änderungen,

„Dafür habe ich keine Zeit!“ So einen Satz hat wahrscheinlich jeder schon einmal gehört oder selbst zum Besten gegeben. „Zeit hat man nur, wenn man sie sich nimmt“, so der neunmalkluge Ratschlag des deutschen Schriftstellers Karl Heinrich Waggerl. Zwischen Klausurenphase an der Uni und Überstunden bei der Arbeit nutzen wir hektisch und schnell Coffee to go, Lieferdienste und Social Media, um möglichst wenig Zeit zu „verschwenden“ und uns so schnell wie möglich wieder dem vermeintlich Wichtigen zu widmen. Zeit für Schönes bleibt dabei häufig auf der Strecke.

Menschen über 70 haben dagegen oft die Ruhe weg. Klar, Rentner*innen gehen keinem Job mehr nach und müssen auch nicht die Strapazen eine Studiums über sich ergehen lassen. Sie pflegen dafür öfter ihre wenigen persönlichen Kontakte, anstatt tausende Follower*innen mit unpersönlichen Foodporn-Fotos vollzuspammen. Außerdem nehmen sie sich die Zeit, die bestimmte Dinge eben brauchen. So trifft man sich regelmäßig mit Freund*innen bei Kaffee und frisch gebackenem Kuchen und spricht über Gott und die Welt – vielleicht auch, um die Langeweile zu bezwingen, mit der sich viele Rentner*innen jeden Tag aufs Neue konfrontiert fühlen und die sie schnell traurig und einsam macht.

Dauerstress und Ruhelosigkeit  sorgt dagegen vor allem für Aggressivität und Unausgeglichenheit gegenüber Freund*innen und Familie. So rät der irische Lyriker Oscar Wilde zur Entspanntheit und Heißgetränk, denn …  

„Nach einem guten Kaffee verzeiht man sogar den Eltern.“

Oscar Wilde, irischer Lyriker

Um mir genau diese Ausgeglichenheit anzueignen, verabrede ich mich inmitten des Klausurenstresses mit Freund*innen zu Kaffee und Kuchen. Bei der riesigen Auswahl in Berlin ist ein schönes Café schnell gefunden und dann gilt: keine Handys, keine Termine, keine Ablenkungen.

Analoge Kuchenparade

Zur Verköstigung stehen bereit: Ein exotischer Stachelbeer-Pie mit sehr süßem und leichtem Geschmack macht den Anfang. Daneben präsentiert sich die Himbeer-Joghurt-Torte eher als zeitlose Klassikerin. Das große Finale besteht aus New York Cheesecake mit Brombeer-Heidelbeer-Topping, der trotz seiner niedlichen Größe nicht zu unterschätzen ist.

Bilder mit Worten malen ist schön, Fotos von Kuchen sind schöner. Foto: Johannes Bauer

Neben der Verköstigung kulinarischer Backwerke und frisch gebrühten Heißgetränken entsteht schnell eine wunderbar leichte Plauderei. Erst sprechen wir über den bereits verlebten Morgen, dann über den Sommer, über Urlaube, Festivals und zum Schluss landen wir wie immer bei der Politik. Das „Immer-über-die-selben-Themen-reden“ haben wir schon gut von den Rentner*innen übernommen. Der Klausurenstress ist für einen Moment vergessen, für die Hausarbeit ist an einem anderen Tag noch Zeit und das Handy bleibt ausgeschaltet in der Tasche. Damit landet auch kein #foodgoal-Foto bei Instagram, verziert mit #coffeegram #timeout #cakelove #qualitytime. Nicht alles muss mit der Welt geteilt werden, man kann auch einfach mal den Moment genießen und im Jetzt leben. Lernen von den Alten. #experience #respecttheold #yolo Diese Weisheit macht sich bestimmt auch gut in meinem Twitter-Feed.

Autor*in

Johannes Bauer

Politikwissenschaft, Otto-Suhr-Institut, Freie Universität Berlin,
Twittert als @IamJoBr.

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