FURIOS verlustiert sich: Hobby Hausarzt

Rabea Westarp rennt gern mal von Arztpraxis zu Arztpraxis. Die stets durch reale Ängste getriebene Lust, Termine bei Fachärzt*innen zu machen, sieht man sonst eher in der Generation ihrer Großeltern. Kann die übertriebene Sorge um die eigene Gesundheit auch zu etwas gut sein?

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Hypochondrie kann unsere Autorin besser, als jede*r Renter*in. Bild: unsplash

Die Tür des Behandlungszimmers ist noch nicht hinter mir ins Schloss gefallen, da bereue ich meinen Eifer auch schon. Die kühne Überzeugung, gerade höchst verantwortlich zu handeln verpufft und die in den letzten Wochen sehr präsent in meinem Kopf kursierenden Ängste kommen mir schlagartig lächerlich und nichtig vor. „Was ist denn Ihr Problem, Frau Westarp?“, fragt mich die Hautärztin. Trotz ihrer Zugewandtheit und der Freundlichkeit in ihrer Stimme wirkt sie, als wäre sie auf dem Sprung. Sie hat sicher wenig Zeit und noch einen Haufen Patient*innen vor sich, es ist erst Vormittag. Mein schlechtes Gewissen verfestigt sich. So ist es jedes Mal.

Ich bin ein Hypochonder. Regelmäßig packt mich die Überzeugung, mich würden akute schwere Leiden heimsuchen, die gar lebensbedrohlich verlaufen könnten. Dann glaube ich, chronische Hautirritationen zu bemerken, Probleme in Knie- oder Hüftgelenken zu diagnostizieren, alle Symptome für eine HIV-Infektion, eine Krebserkrankung oder grauen Star bei mir zu erkennen oder Opfer einer unbefleckten Empfängnis geworden zu sein. Kurzum: Ich wandle eifriger von Fachärzt*in zu Fachärztin*in als mein eigener Opa.

Das Gefühl von Kontrolle

Was in meinem Freundeskreis durchaus für erheiternde Gespräche sorgt, in denen ich auch gern mal über mich selbst lache und erkenne, dass die meisten meiner Ängste wohl unbegründet sind, ist in stillen Momenten schlagartig gar nicht mehr witzig und hat mich schon in einigen Nächten um den Schlaf gebracht, weil ich ernsthafte Angst um meine Gesundheit hatte. Diese Angst hat mich auch jetzt wieder in die Praxis getrieben: Ich hege seit geraumer Zeit die Befürchtung, unter extremen Haarausfall zu leiden. Außerdem habe ich vor ein paar Wochen eine Hautirritation am Rücken bemerkt – von der nun, als ich vor der Ärztin mein Shirt hochziehe, aber leider nichts mehr zu sehen ist.

Das Schlimme an meiner Hypochondrie: Sie bereitet mir insgeheim ein kleines Vergnügen. Wenn ich wie eine Rentnerin, der es an sonstigen Beschäftigungen fehlt, von Praxis zu Praxis renne und irgendwelchen Phantomschmerzen nachjage, gibt mir das ein Gefühl von Kontrolle und Handlungsfähigkeit. Beschwerden? Kein Problem, ich gehe aktiv dagegen vor! Highlights sind die Momente, in denen ein*e Ärzt*in tatsächlich mal etwas findet, eine wirkliche Diagnose stellt, mir vielleicht sogar etwas verschreibt. Ich hab doch gesagt, dass da was war, ha! Jetzt kann ich mich darum kümmern. Das kommt ehrlich gesagt nicht oft vor.

Auch heute nicht. Die Arzthelferin nimmt mir Blut ab, im Labor soll geprüft werden, ob ich irgendwelche Vitamin- oder Nährstoffmängel habe, die den selbst diagnostizierten Haarausfall verursachen. Der Rückruf aus der Praxis ein paar Tage später wird mir bescheinigen: Nein, keine Mängel. Ich bin fast ein wenig enttäuscht. Wo kein klar definiertes Problem, da auch kein Handlungsbedarf.

Ich bleibe zuhause

Vor zwei Wochen war es zum ersten Mal anders. Der vorher nur als „so schlimm wie eine Grippe“ belächelte Coronavirus wurde plötzlich als Problem ernst genommen und ich, gerade an einem mittelstarken Husten erkrankt, habe mir natürlich schon selbst die Diagnose gestellt: Ganz klar Covid-19. Was jetzt also? In die Arztpraxis rennen? Angesichts der vielen Aufrufe, mit einem Verdacht auf Infektion bitte den Praxen fernzubleiben, um Ansteckung zu vermeiden keine gute Idee. Eine der Hotlines möchte ich auch nicht anrufen, mir ist mein Verdacht irgendwie zu wacklig, als dass ich jetzt Leitungen blockieren möchte, die andere gerade eher brauchen als ich. Ich bleibe also zuhause.

Ob ich je mit dem Virus infiziert war, kann ich nicht sagen, ich bezweifle es aber. Mein Husten war nicht trocken und auch von Fieber war keine Spur. Ich bemerke aber, dass mein seltsames Hobby, in Wartezimmern abzuhängen, vielleicht nicht immer ganz angebracht ist. Wer weiß, vielleicht klaue ich damit anderen Patient*innen die Termine, die sie eher brauchen könnten und den Ärzt*innen die Nerven, die sie wiederum für andere Patient*innen brauchen. Ich bin aber trotzdem froh, ein Gefühl dafür zu haben, wie es meinem Körper geht. Dafür ist nicht immer ein Arztbesuch nötig, notfalls bleibt man eben einfach mal zuhause.

Autor*in

Rabea Westarp

Das Schreiben nutzt Rabea Westarp als Waffe gegen ihre immense Faulheit und Lethargie. Klappt eigentlich ganz gut.

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