Im „Kreativsemester“ durch die Pandemie?

Der Ruf nach einem „Nichtsemester” wird lauter, die Kritik daran ebenfalls. Kira Welker sortiert die Debatte und stellt fest: So weit sind die Positionen gar nicht voneinander entfernt.

Ein Semester nur am heimischen Schreibtisch kann zur Herausforderung werden. Bild: unsplash.com

Twitter-Vorlesungen, ausgesetzte Prüfungsfristen, nicht-validierte Semestertickets, wegfallende Nebenjobs – in der anhaltenden Ausnahmesituation aufgrund der Covid-19-Pandemie wird der Vorschlag eines „Nichtsemesters“ intensiv diskutiert. In den Hochschulleitungen findet dieser allerdings kaum Anklang. Liegt das an einem mangelnden Austausch über gemeinsame Anliegen – oder fehlt hier schlicht der Blick für die Schwächsten im System Universität?

Als mögliches Konzept für das kommende Semester skizziert ein von drei Professorinnen angestoßener offener Brief ein sogenanntes „Nichtsemester“. Paula-Irene Villa Braslavsky (LMU München), Andrea Geier (Universität Trier) und Ruth Mayer (Leibniz Universität Hannover) benennen in diesem offenen Brief Probleme, die sich aus der Pandemie für Studierende und Lehrende ergeben: eine große finanzielle Unsicherheit durch wegfallende Nebenjobs und unklare Bafög-Regelungen, Zusatzbelastung durch Pflegearbeit wie Kinderbetreuung und fehlender Zugang zu Uni-Ressourcen wie Bibliotheken, Arbeitsräumen oder WLAN. Auch die hastige Umstellung auf E-Learning-Tools, mit denen alle Beteiligten kaum Erfahrung haben, sei problematisch. Unter den erschwerten Bedingungen sei ein reguläres Semester nicht möglich.

Studieren trotz Nichtsemester”

Dieser Ausnahmesituation könnten die Hochschulen begegnen, indem das kommende Semester formal nicht „zählt“, heißt es in dem Brief. Praktisch bedeutet das die Streckung der Regelstudienzeit (auch im Sinne der Bafög-Berechtigung) für alle Studiengänge um ein Semester. Auch die Verträge befristet beschäftigter Wissenschaftlicher Mitarbeiter*innen sollten demnach um mindestens ein Semester verlängert werden.

Gleichzeitig wollen auch sie, soweit möglich, die Lehre aufrechterhalten. In dem Brief heißt es: „Studierende sollen selbstverständlich die Möglichkeit haben, Leistungspunkte [zu] erwerben, Prüfungen zu absolvieren und Abschlussarbeiten zu schreiben“. Die Verfasserinnen betonen allerdings die Probleme von Online-Formaten: Lehrveranstaltungen müssten hierfür umgedacht werden – dies in den vier Wochen bis zum geplanten Semesterbeginn am 20. April umzusetzen, ist ambitioniert. Gerade Dozierende ohne volle Stelle haben dafür kaum Kapazitäten. Außerdem fehlen einigen Studierenden passende Geräte, gute Internetverbindung oder ruhige Lernorte. Der Plan zur digitalen Lehre birgt das Risiko der Chancenungleichheit.

Innerhalb weniger Tage hat dieser Appell mehr als 6000 Unterzeichner*innen aus dem Hochschulbetrieb gewonnen, darunter mehr als 40 Lehrende der FU. Auch studentische Initiativen wie der Freie Zusammenschluss der von Student*innenschaften (fzs) haben unterschrieben. Letzterer fordert zusätzlich finanzielle Soforthilfen für Studierende in Notlagen.

Berlins Hochschulen auf dem Weg ins „Kreativsemester“

In Berlin zeigen sich die Hochschulpräsidien jedoch unbeeindruckt von den Einwänden. An der FU scheint man entschlossen, am 20. April wieder mit der Lehre zu beginnen. Wie er sich das kommende Semester vorstellt, beschreibt Universitätspräsident Günter Ziegler in einem Gastbeitrag im Tagesspiegel: Er erklärt es zum „Kreativsemester“, in dem die wegfallende Präsenzlehre durch Formate wie Telefonkonferenzen und Online-Seminarräume ersetzt werde. Die Pandemie wird zur Chance erklärt, die überfällige Digitalisierung anzugehen und neue Wege für die Lehre zu finden.

Wichtig sei vor allem, ein möglichst vollwertiges Sommersemester für alle Studierenden anzubieten, die dieses wahrnehmen wollten – und könnten. Gerade am können dürfte es aber bei vielen scheitern. Und für sie findet Ziegler in seinem Artikel keine konkreten Lösungen – die FU werde „tun, was sie kann“, um alle Studierenden zu berücksichtigen. Dennoch betont er: „Wir möchten kein Nichtsemester. Wir wollen keine verpasste Gelegenheit.“

„Kreative“ Lösungen – für alle, die mitkommen?

Überhaupt scheinen Kritiker*innen des offenen Briefs vor allem den Begriff „Nichtsemester“ misszuverstehen und ein erzwungenes Urlaubssemester zu befürchten. Dabei geht unter, dass im Grunde doch alle etwas Ähnliches wollen: unkomplizierte, kontaktfreie Lehrangebote für jene, die sie auch im Ausnahmesemester wahrnehmen wollen. Zusätzlich formuliert der offene Brief zum Nichtsemester jedoch solidarische Lösungen für diejenigen, die aktuell nicht das Gewohnte leisten können. Damit stellt er die öffentlichkeitswirksamste Gegenposition zum „business as usual“-Betrieb mit überstürzter Umstellung auf Online-Lehre dar – und erinnert an alle, die dabei potenziell auf der Strecke blieben.

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