FURIOS gafft: Hallo, siehst du mich?

Wenn man zuhause bleiben muss, wird der Blick aus dem Fenster überlebensnotwendig. Unsere Autorin Lisa Hölzke vergewissert sich jeden Morgen, ob die Welt da draußen noch besteht und nimmt dabei wahr, wie sich vieles verändert hat.

Das Fenster als neuer Lebensmittelpunkt. Foto: Pixabay.

Wecker ausstellen, aus dem Bett fallen, Fenster auf: Der erste morgendliche Blick aus dem Fenster war schon immer etwas Besonderes. Er ist der erste Kontakt zur Außenwelt und setzt die Startvoraussetzungen für den Tag. Wie ist das Wetter, was machen die Menschen, läuft die Welt noch weiter oder ist über Nacht die Apokalypse ausgebrochen?

Hatte ich diesen Gedanken aufgrund einer regen Phantasie oder entstand er durch die neue Episode von The Walking Dead, die ich gestern Abend noch gesehen habe, so ist der Blick aus dem Fenster in diesen Tagen tatsächlich wichtig, fast schon lebensnotwendig. 

Das Fenster als Tor zur Außenwelt

Gefangen in der eigenen Wohnung ist er der Bezug zur Außenwelt, das was man in der Quarantäne braucht. Zwar ist die Apokalypse (noch) nicht ausgebrochen, es bedarf jetzt trotzdem unbedingt des Wissens, dass die Welt noch weiterläuft. Und ja: ein Stück Himmel, frische Luft, die Sonne scheint, vereinzelt Menschen (aber immerhin, Menschen!) mit Einkaufstüten und Mundschutz, Schlange vor dem Späti, der nur noch einzeln betreten werden darf. 

Und dann sind da noch die Menschen in den anderen Fenstern, die ich vorher nie groß beachtet habe, den Vorhang eher zugezogen habe, aus Unwillen, beobachtet zu werden. Und jetzt beobachte ich sie und sie beobachten mich. Die Mutter mit ihren zwei Kindern, die mit der Wasserpistole ins Leere auf die Straße schießen, während die Mutter die Bettdecke ausschüttelt. Das junge Pärchen auf dem Balkon, das frühstückt und eher die Straße entlang blickt als sich in die Augen. Der Jugendliche, der seinen Freunden auf der Straße etwas zuruft, die nicht zu ihm hoch dürfen. 

Tagesschau statt Fifa 20

Der junge Mann gegenüber, der vorher, in „normalen“ Zeiten, immer Fifa gespielt hat, wenn er nicht gerade die Bundesliga verfolgt hat. Manchmal war auch ein Freund von ihm mit dabei, dann saßen sie zu zweit auf seiner Couch und haben im Koop-Modus Tore geschossen. Jetzt sieht er abends Nachrichten, allein, und desinfiziert sich die Hände, bevor er an seinem Schreibtisch anfängt zu arbeiten. Oder zu zocken. Wer weiß. Sein Zimmer ist jetzt beides, Homeoffice und Man Cave.

Früher haben sich unsere Blicke selten gekreuzt und wenn doch, dann hat einer von uns bald den Vorhang zugezogen. Lästig, man will doch anonym bleiben, hier in Berlin. Doch jetzt: Augenkontakt, langer Augenkontakt. Plötzlich sind wir nicht mehr anonym, sondern junge Menschen, die dieselbe Krise miterleben, dieselben Restriktionen befolgen müssen: Kontaktverbot, in Berlin quasi Ausgangssperre. Dieses Mal ziehen wir beide nicht den Vorhang zu. 

Ich nehme sie alle wahr, die Menschen da draußen und da drinnen. Ich darf nicht mehr in das Büro, in die Universität, in meinen Buchladen und mein Kino. Aber das Fenster zur Außenwelt, zur Realität, bleibt offen. Körperliche Kontaktlosigkeit ist zwar möglich, ein loser Kontakt zur Welt da draußen aber, der ist unabdingbar.

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