»Bei McDonald’s würde ich das Dreifache verdienen«

Kettenbefristungen, Unsicherheit und Bezahlung unter Mindestlohn gehören für Wissenschaftliche Mitarbeiter*innen zum Universitätsalltag. Die Initiative »FU:fair&unbefristet« will nun auf den Missstand aufmerksam machen.

Illustration: Antonia Böker

Wisst ihr, wie der Arbeitsalltag eurer Dozent*innen aussieht? Für viele wissenschaftliche Mitarbeiter*innen an der FU ist er eine Zerreißprobe. Eine Promovierende erzählt: »Unsere Professor*innen überschütten uns mit Verwaltungsaufgaben, wir kümmern uns um Fördergelder und füllen Forschungsanträge aus. Oft fehlt uns die Zeit, unsere Seminare vorzubereiten. Die Qualität der Lehre leidet – von der eigenen Forschung ganz zu schweigen.« 

Stellt die 33-Jährige ihr Gehalt in ein Verhältnis zu ihrem tatsächlichen Aufwand, läge ihr Stundenlohn unter Mindestlohn. Denn die Uni bezahlt zwar nach dem Tarifvertrag der Länder (TV-L), schreibt allerdings meist nur halbe Stellen aus. Faktisch arbeiten die Nachwuchswissenschaftler*innen nach eigenen Angaben mehr als in Vollzeit. Doch damit nicht genug: Zeitvertrag reiht sich an Zeitvertrag, Planungsunsicherheit ist Alltag.

93 Prozent der WiMis arbeiten befristet

93 Prozent der wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen (WiMis) an der FU arbeiten nach solchen befristeten Verträgen. Das gibt die Initiative »FU:fair&unbefristet« an, die bereits im Sommer 2017 von einigen Betroffenen gegründet wurde. Aktuell sammeln sie Unterschriften für eine Petition, die faire Arbeitsbedingungen fordert. 

Betroffen sind eigentlich alle Beschäftigten an der Universität, von Studentischen Hilfskräften bis hin zu Postdocs. Am schwersten aber trifft es den Mittelbau, die WiMis. Gesetzlich geregelt ist, dass diese maximal sechs Jahre vor und sechs Jahre nach der Promotion in befristeten Verträgen arbeiten dürfen. Das gilt allerdings nicht für Stellen, die durch Drittmittel finanziert werden, wozu auch Projekte der Exzellenzstrategie gehören. 

Während sich Mitarbeiter*innen in der Wissenschaft also über zwölf Jahre oder länger von einem befristeten Vertrag zum nächsten hangeln, sieht es in der freien Wirtschaft sozialverträglicher aus: Unternehmen dürfen lediglich über zwei Jahre hinweg Zeitverträge schließen, Kettenbefristungen sind nicht erlaubt. Deshalb würden viele Betroffene ins Ausland oder in Unternehmen gehen, statt im akademischen Betrieb zu bleiben, heißt es seitens der Initiative. »Familienplanung ist in solchen Verhältnissen kompliziert.« So werde auch ein bestimmter Typ Wissenschaftler*in produziert: ledig, ohne Kinder, vorzugsweise männlich. 

Illustration: Antonia Böker

Die Hochschulleitungen halten an dem Prinzip befristeter Verträge fest, erklärten die Kanzler*innen der deutschen Hochschulen bei einer gemeinsamen Konferenz im September 2019. Das Beschäftigungssystem garantiere, »dass kontinuierlich Absolvent*innen für Aufgaben in Wissenschaft, Wirtschaft oder Verwaltung ausgebildet werden können«, heißt es im gemeinsamen Statement. So blieben die Universitäten dynamisch; es werde verhindert, dass Stellen dauerhaft mit denselben Lehrenden besetzt würden und Forschung stagniere. Die Befristung schafft Konkurrenzdruck: Je höher dieser ist, desto besser, schneller und billiger die Arbeit. 

Für den Arbeitskampf bleibt kaum Zeit

Dass die Strukturen so sind, wie sie sind, läge mitunter daran, dass sich die Betroffenen zu wenig organisierten, erzählt eine Wissenschaftlerin, die die Petition unterschrieben hat. »Wir haben kaum Zeit, neben unseren Verwaltungsaufgaben unsere Lehre vorzubereiten. Wie sollen wir es dann schaffen, uns nebenher noch zu vernetzen?« 

Hinzu kommt, dass Professor*innen meist Arbeitgeber*innen und Prüfer*innen für die angestrebte Dissertation zugleich sind. Viele Beschäftigte trauen sich nicht, für bessere Arbeitsbedingungen zu kämpfen, aus Angst davor, deshalb schlecht benotet zu werden und so im akademischen Konkurrenzkampf nicht bestehen zu können.

Das spiegelt sich auch in den Reihen der Initiative wieder: Unterstützende wollen anonym bleiben. Eine Wissenschaftlerin berichtet, sie habe gerade erst mit ihrer Promotion begonnen und möchte deshalb nicht als Gesicht der Initiative gezeigt werden. 

Prekäre Lage in der Wissenschaft als strukturelles Problem

»Gleichzeitig ist es auch ein öffentliches Problem«, sagt Stefan Bommer, Lehrbeauftragter am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft. Es werde insgesamt zu wenig in den öffentlichen Dienst investiert, das sehe man auch in der Verwaltung oder in den Krankenhäusern. »Natürlich könnte das Land Berlin der FU mehr Geld zukommen lassen, die politisch gewollte verfassungsrechtliche Schuldenbremse erschwert das jedoch erheblich.« 

Der Konflikt reicht weit über die FU hinaus, ist an allen großen Universitäten Deutschlands zu finden. Es ist eine Kette nicht wahrgenommener Verantwortungen: die der Landes-, Bundes- und Sparpolitik – der schwarzen Null.

Wo also anfangen im langen Kampf für bessere Arbeitsbedingungen an der Universität? Wen anklagen, wen ins Boot holen? Ziel der Initiative »FU:fair&unbefristet« ist es, der Perspektivlosigkeit entgegenzuwirken, die sich im akademischen Betrieb breit gemacht habe. Dazu brauche es aber die Unterstützung aller Gruppen an der Universität, sagt Bommer. Studierende und Beschäftigte müssten Seite an Seite gegen die Missstände ankämpfen.

Autor*innen

Jette Wiese

Lieber lange Wörter als Langeweile.

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