Vielleicht For Future

Die Klimastreiks 2019 politisierten eine ganze Generation Schüler*innen. Und die Studierenden? Spätestens seit der Bologna-Reform gelten sie als unengagiert. Ändert die Klimabewegung daran etwas? Oder hält sich das Bild des unpolitischen akademischen Nachwuchses? Eine Spurensuche an der FU.

Mantra einer Generation oder Kulturpessimismus? Illustration: Freya Siewert

Ein wenig trotzig steht sie da, und auch ein wenig überfordert. Eine Aktivistin der »Students for Future« an der FU Berlin steht am Redepult des Hörsaals 1A. Eigentlich möchte sie der Studierenden-Vollversammlung die Ergebnisse ihrer Arbeitsgruppe vorstellen, die während der »Public Climate School« Ende November Forderungen zum »politischen und wirtschaftlichen System« ausgearbeitet hat. Doch sie kommt nicht dazu. Die Anwesenden möchten lieber über einzelne Formulierungen diskutieren. »Frauen« oder »vom Patriarchat benachteiligte Personen«? Und sollte man proklamieren, dass »Kapitalismus und ökologische Nachhaltigkeit unvereinbar« seien, oder sich stattdessen für die gemäßigte Formulierung entscheiden, nach der »Neoliberalismus und ökologische Nachhaltigkeit unvereinbar« seien? Wäre die Vollversammlung ein Pulverfass der Meinungen zum richtigen Umgang mit der Klimakrise, könnte die Systemfrage der Funke sein, der das Fass explodieren lässt.

Empörte Studierende – eine aussterbende Spezies?

Als Ende 2018 die Schüler*innenbewegung »Fridays for Future« groß wurde, blieben die Studierenden außen vor. Eine Befragung des Instituts für Bewegungsforschung der TU Berlin bei der Klimademo im März 2019 ergab: Nur rund 18 Prozent der Befragten waren zwischen 20 und 25 Jahren alt, also im typischen Studierendenalter, während Teilnehmer*innen zwischen 14 und 19 Jahren mehr als die Hälfte ausmachten.

Doch wo ist der akademische Nachwuchs? Sitzt er weltabgewandt in Second-Hand-Kleidung mit den besten Freund*innen in der Einzimmerwohnung, isst über »TooGoodToGo« gerette vegane Fischfrikadellen, trinkt fair gezupften Bio-Matetee aus Bambustassen und erfreut sich der eigenen Selbstgefälligkeit? Oder ist es die alte Leier von Millennials, die die Bologna-Reform zur Freizeit- und Meinungslosigkeit verdammte? Zu beschäftigt, mit Nebenjobs und knapp bemessenem Bafög gerade so über die Runden zu kommen? Rebellion? Morgen vielleicht… ¯\_(ツ)_/¯.

Von Neu-Aktivist*innen und alten Hasen

Im Frühjahr 2019 gründete sich an der FU ein studentischer Ableger von »Fridays for Future«. Ein Gruppenmitglied betont: »Wir hatten fast alle am Anfang keine Ahnung von Aktivismus.« Mit der Zeit haben sich immer mehr Leute angeschlossen, bis die Idee aufkam, im Juni 2019 eine Vollversammlung einzuberufen. Während es dort noch um Forderungen an die Universitätsleitung ging, richtete sich die Klimastreikwoche im November vor allem an die Bundespolitik. Die Bereitschaft zu Veränderung sei in Dahlem nur da gegeben, wo es nicht unbequem wird. »Die Uni hat zwar mehr gemacht als andere Unis, aber sie ist nicht bereit für eine große Veränderung«, sagt der Aktivist.

Das Engagement der »Students for Future« rückt sie zunehmend in den Fokus diverser politischer Strömungen an der Universität. Viele Hochschulgruppen wollen ihre Ideen in die Forderungen der Studierendenschaft mit einfließen lassen. Normalität bei einer basisdemokratischen Initiative, allerdings birgt das auch Potential zur Spaltung.

Auf der Abschluss-Vollversammlung waren neben pragmatischen auch klassenkämpferische Stimmen zu hören. Ein Beispiel dafür ist »organize:strike«. Die antikapitalistische Hochschulgruppe gründete sich im Nachgang zum Tarifstreik der studentischen Beschäftigten im Jahr 2018. In der Folge blieben ihre Ziele jedoch eher vage. Zwar griff die Gruppe mehrfach explizit studentische Themen auf, hat aber auch einen politischen Anspruch, der über den universitären Kontext hinausgeht. Auf der Internetseite »Klasse gegen Klasse«, auf der »organize:strike« programmatische Beiträge publiziert, wurden bislang vor allem die Gelbwestenbewegung, Feminismus und Protestbewegungen in Lateinamerika thematisiert. Klimaaktivismus schien auf der Agenda bislang nicht weit oben zu stehen.

»Es muss etwas anderes als Kapitalismus oder Sozialismus geben!«

Die meisten Aktivist*innen scheinen sich einig zu sein, dass die Klimafrage nicht von der gegenwärtigen Wirtschaftsordnung zu trennen ist. Doch über die Richtung der nötigen Veränderung herrscht Uneinigkeit. So brachten revolutionäre Stimmen im Entwurf eines Forderungskatalogs die Formulierung unter, dass alle großen Wirtschaftsunternehmen enteignet und unter die demokratische Verwaltung der Arbeiter*innen und die Kontrolle von Verbraucher*innenausschüssen unter der Beratung von Wissenschaftler*innen gestellt werden müssten. Aber nicht alle Aktivist*innen können sich mit der Rückkehr einer sozialistischen Planwirtschaft anfreunden. Einer der »Students for Future« findet, man müsse natürlich dorthin gelangen, dass der gegenwärtige Kapitalismus nicht mehr wiederzuerkennen sei. Doch er gibt zu bedenken: »Die wenigsten Leute können sich ein System vorstellen, das weder Kapitalismus noch Sozialismus ist. Aber es muss doch irgendetwas anderes geben!«

Gesellschaftliches Engagement versus studentische Arbeitslast. Illustration: Marie Gentzel

Auch andere Perspektiven gewinnen an Einfluss. »Wir kritisieren, wie der Klimaaktivismus im globalen Norden ausgetragen wird; dass Rassismen reproduziert und so unter anderem Menschen mit Migrationshintergrundes ausgeschlossen werden«, sagt Frederick von »Decolonize Climate Action«. Er und seine Mitstreiterin Sandra haben während der »Public Climate School« einen Workshop veranstaltet. Laut eigenen Angaben interessierten sich 170 Studis für antirassistische und -koloniale Praktiken in der Klimabewegung. »Wir haben nach unserem Workshop darüber geredet, dass der Name »for Future« sehr exklusiv ist«, sagt Sandra. Und Frederick wirft ein: »Wem wird denn die Zukunft geklaut? Wir in Deutschland sind viel weniger gefährdet als die Menschen im globalen Süden.«

Traditionslinie: studentischer Aktivismus

Wie fügt sich nun, knapp anderthalb Jahre nach der Gründung der »Fridays for Future«-Bewegung, die FU-Hochschulgruppe in das Konstrukt aus Schüler*innen, Eltern, Wissenschaftler*innen und »Omas for Future« ein? Die studentischen Klimaaktivist*innen sehen sich an der Seite der Schüler*innen und als Bindeglied zwischen den Altersgruppen. »Unser Vorteil ist, dass wir den direkten Draht zur Wissenschaft haben«, meint einer der Klimaprotestierenden. Deshalb sei es gut, als Studis die Systemfrage kritisch zu stellen. Simon Teune, Protest- und Bewegungsforscher an der TU Berlin, meint, dass sich die studentische nicht signifikant von der Perspektive der Schüler*innen unterscheide. »Die Diskussionen sind in beiden Gruppen die gleichen.«

Bei aller disruptiven Energie der letzten Monate: Die Klimawoche hat deutlich gezeigt, dass Erwartungen an eine neue Studierendenbewegung in der Tradition der 68er zu hoch angesetzt sind. Schaut man in die Satzung der Studierendenschaft, waren die von Fridays for Future organisierten Vollversammlungen nicht einmal beschlussfähig. Simon Teune erklärt: »Wenn man 1967 an der FU studiert hat, war es schwer, um das Thema herumzukommen, weil die Universität in der öffentlichen Diskussion mit dem Protest in eins gesetzt wurde.« Das sei heute anders.

Nach wie vor bleibt der Großteil der Studierenden an der Freien Universität unbeteiligt an den Aktionen der »Students for Future«. Ein Mitglied der Gruppe glaubt, »wir sind eine Generation, die wartet, dass die Information zu uns kommt und nicht wir zur Information.« Simon Teune analysiert: »Anders als bei den 68ern sehen Studierende heute die Uni nicht so sehr als den Ort, an dem sie sich engagieren.« Studentischer Aktivismus bestehe weiterhin, etwa bei den Anti-Kohle-Protesten von »Ende Gelände«. Der Unterschied sei aber, dass die Studierenden schlicht als Aktivist*innen auftreten, nicht mehr spezifisch als Studierende. Dadurch sei die studentische Identität in Protesten weniger sichtbar. »Diese fehlende Sichtbarkeit von studentischem Aktivismus führt dazu, dass sich die gesellschaftliche Gruppe der Studierende nicht mehr so selbstverständlich als politisch versteht.«

Anm. d. Autoren: Zum Zeitpunkt der Recherche und des Redaktionsschlusses der gedruckten Originalversion dieses Artikels hieß die Gruppe »Fridays for Future FU Berlin«, mittlerweile verwenden die Aktivist*innen öffentlich den Namen »Fridays for Climate Justice FU Berlin«.

Autor*innen

Julian Sadeghi

Einer der Julian Sadeghis dieser Welt.

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