Von der „vierten Gewalt” zum Auslaufmodell

Es ist ein umfangreiches Krankheitszeugnis, das Alexandra Borchardt in ihrem Buch Mehr Wahrheit wagen” dem Journalismus ausstellt. Die Expertin weiß, dass er gesunden muss, doch Rezensent Elias Fischer stellt fest: Die richtigen Mittel kennt Borchardt nicht.

Bild: Duden Verlag, Alexandra Borchardt. Illustration: Joshua Liebig. Bildmontage: Elias Fischer
Bild: Duden Verlag, Alexandra Borchardt. Illustration: Joshua Liebig. Bildmontage: Elias Fischer

„Der Journalismus ist tot. Mindestens schwer krank.” Das attestierten 2015 mehrere Journalist*innen ihrer Branche auf der Tagung „Digitaler Journalismus: Disruptive Praxis eines neuen Paradigmas”. Sie waren und sind mit dieser Ansicht nicht alleine. Alexandra Borchardt, Journalistin und Gastprofessorin an der UdK Berlin, stimmt in ihrem neuen Buch „Mehr Wahrheit wagen” in diesen Tenor ein. Zwar wähnt sie den Journalismus keineswegs tot oder sterbend, aber sie identifiziert eindeutige Krisensymptome: fehlendes Vertrauen des Publikums, fehlende Identität, fehlender Nachwuchs, veraltete Geschäftsmodelle. Diese Krisen, so deutet der Titel des Buches an, schwächen laut Borchardt nicht bloß den Journalismus, sondern unsere politische Ordnung. Sie gefährden die Demokratie. Für die Autorin steht fest: „So wie er [der Journalismus; Anm. der Redaktion] ist, kann er nicht bleiben.”

Misstrauen, Diskreditierung, Verachtung

Borchardt setzt sich akademisch seit längerem mit dem Einfluss der Digitalisierung auf Journalismus und Gesellschaft auseinander. „Demokratie ist ein Gespräch”, zitiert die Autorin den Journalismus-Professor Jeff Jarvis in ihrem Buch und ergänzt, dass es die Verantwortung des Journalismus sei, jenes Gespräch zwischen Macht und Volk anzustoßen und „am Laufen zu halten”. Journalist*innen stünden in der Verantwortung, täglich der Bevölkerung „das Rüstzeug” für die Meinungsbildung bereitzustellen.

Das war einst so. Das Publikum misstraue dem Journalismus, schreibt Borchardt und verweist auf den „Digital News Report 2019”. Populist*innen und Autokrat*innen verstärkten das Misstrauen, dsikreditierten den Qualitätsjournalimus, indem sie „die Qualitätsmedien mit Fake News in Verbindung bringen” oder Hasstiraden in den sozialen Medien verbreiteten, schreibt die Autorin. 

Krisenherd Digitalisierung

Fake News und ein generelles Misstrauen sind hinlänglich bekannte Probleme des Journalismus, ebenso wie die schlechten Arbeitsbedingungen in der Branche. Wie aber geriet der Journalismus in die aktuelle Krisensituation? Ein Faktor seien die digitalen Kommunikationsstrukturen, erklärt Borchardt. Zuerst habe das Publikum nach mehr Partizipation und Informationen verlangt; Plattformkonzerne wie Google und Facebook haben geliefert; Medien haben durch Push-Ups und Newsletter ebenfalls zum Überangebot beigetragen. Nun suche das Publikum „in der Kakofonie der Reize” nach Orientierung, schreibt die Autorin. Nutzer*innen freuen sich über personalisierte Nachrichten, die die Algorithmen auswählen, erklärt Borchardt. Gleichzeitig seien sie erschrocken über ihre eigene Online-Transparenz.

„altmodisch, manchmal kompliziert und langweilig – wie die Demokratie”

Alexandra Borchardt, Journalistin und Autorin von „Mehr Wahrheit wagen”

Und der Qualitätsjournalismus? Der gehe „in der Flut von Online-Angeboten” unter. Algorithmen belohnten eben Klickzahlen. Unabhängiger Journalismus, betont Borchardt, sei nicht immer unterhaltsam, sondern „altmodisch, manchmal kompliziert und langweilig – wie die Demokratie”. Dass Qualitätsjournalismus Ungerechtigkeiten oder fragwürdige Entscheidungen, die in lokalen wie überregionalen Organisationen getroffen werde, offenlege und somit „existenziell für die Funktionsfähigkeit von Demokratien” sei, bleibe oft unbeachtet.

Ist starker Journalismus Demokratie?

Für Borchardt liegen die Quellen der Krisen nicht nur in der Digitalisierung. Sie kritisiert Redaktionsstrukturen, -arbeit und ambivalentes Konsumverhalten. Die Autorin zeichnet in ihrem Buch detailliert die Vielschichtigkeit der Problematik nach. Wie aber kann sich der Journalismus daraus befreien? „Wie sich der Journalismus wandeln muss”, weiß Borchardt: Er muss präziser, investigativer, transparenter, vielfältiger werden. Es fehlt die konkrete Umsetzung, ebenso eine explizite Erklärung ihres Untertitels: „Warum die Demokratie einen starken Journalismus braucht”. Ständig verweist die Autorin auf die Abhängigkeit von Demokratie und Journalismus, findet aber nur eine oberflächliche Antwort auf ihren Untertitel: „Ohne diejenigen, die den Schwachen eine Stimme geben und den Mächtigen ihre Grenzen aufzeigen, kann es kein faires Miteinander zwischen Politik, Wirtschaft und Gesellschaft geben.” Für sie kann scheinbar nur der Journalismus dieses „faire Miteinander” gewährleisten.

„Ja, Journalismus ist ein Gespräch.”

Alexandra Borchardt, Gastdozentin für Kulturjournalismus an der UdK

Doch gibt es nur die Lösung „starker Journalismus” – keine Alternative? Vielleicht. Vielleicht hat Borchardt den exakten Grund noch nicht gefunden, gibt deswegen keine präzise Marschroute vor. Vielleicht aber braucht die Demokratie starken Journalismus, weil er für Borchardt ganz einfach Demokratie bedeutet: „Ja, Journalismus ist ein Gespräch”, schreibt sie. Ob Journalismus-Professor Jarvis unterschreibt? Vielleicht.


„Mehr Wahrheit wagen”, ISBN: 978-3-411-74725-2, Duden-Verlag, 18 Euro

Autor*in

Elias Fischer

Seine Männlichkeit passt nicht ganz in den Bildausschnitt.

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