Nicht gedacht soll seiner werden

Wird der Henry-Ford-Bau diesmal umbenannt? Leon Holly über die unausgesprochenen Regeln unseres Ahnenkults.

Henry Ford zensiert
Henry Fords antisemitische Einstellung ist bekannt. Der Henry-Ford-Bau existiert jedoch weiterhin. Bild: Pixabay.com, Montage: Maj Pegelow

Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts erschien in Russland eine Schrift, die den Plan einer jüdischen Weltverschwörung beweisen sollte. Dass die „Protokolle der Weisen von Zion“ eine Fälschung des zaristischen Geheimdienstes waren, behinderte ihre Verbreitung in ganz Europa nicht. Und selbst über den großen Teich schafften sie es, mit der Hilfe des bekannten Autobauers Henry Ford.

Dessen persönliche Zeitung, der Dearborn Independent, druckte sie im Jahre 1920 ab. Im selben Jahr erschien dort das Pamphlet „Der Internationale Jude“, versehen mit dem unheilvollen Untertitel „Das größte Problem der Welt“. Ford stand natürlich nicht alleine mit seiner Einschätzung, dass „der Jude“ ein Problem sei, und das größte noch dazu. So erwähnte Adolf Hitler Ford lobend in „Mein Kampf“ und ließ ihn 1938 mit dem Deutschen Adlerorden dekorieren.

Diese Vorwürfe gegen Ford sind schwerwiegend, doch gleichzeitig ungefähr so alt, wie der nach ihm benannte Bau auf dem Campus der FU. Auch die letzten Forderungen des Astas nach einer Umbenennung sind eigentlich alter Wein in alten Schläuchen. Doch diesmal zeigt sich die Hochschulleitung, die unterdessen behauptet, das Gebäude sei in Wirklichkeit nach Fords Enkel benannt, offen für „einen Gedankenaustausch“ mit Vertreterinnen der Initiative. Ein ähnliches Begehren an der Beuth-Hochschule im Wedding war zuletzt erfolgreich: Die Hochschule will den Namen des antisemitischen Ministerialbeamten Peter Beuth abstreifen und sich umbenennen.

Was wird umbenannt?

Doch was sind eigentlich die unausgesprochenen Regeln für Umbenennungen dieser Art? Wer wird gewürdigt, wer vergessen? Wie, in anderen Worten, kuratieren wir unseren Ahnenkult? Natürlich kommt es darauf an, ob die Person niederträchtige Ansichten kundtat. Doch es geht auch um das Maß an Reverenz, das die Gesellschaft dieser Person immer noch erweist.

Fast jeder, der sich etwas mit der Person Martin Luthers beschäftigt hat, weiß über seinen schrillen Antijudaismus Bescheid, dem er beizeiten schon eine Prise modernen Antisemitismus beimischte. Nun ist es aber so, dass Luther einer der bedeutsamsten Deutschen aller Zeiten war. Wer also ernsthaft fordern würde, seinen Namen von den Straßen und Plätzen zu verbannen, würde sich völlig anderen Argumenten ausgesetzt sehen als bei Ford oder Beuth. Zudem ginge es im Falle Wittenbergs um die Umbenennung einer ganzen Lutherstadt.

Im Fall der Beuth-Hochschule begünstigten die Umstände hingegen eine Umbenennung, wirft doch das Wirken ihres (Noch-)Namenspatrons, dessen antisemitische Äußerungen mittlerweile weitgehend bekannt sind, in der heutigen Wahrnehmung einen eher schwachen Schatten. Die Würde, einer Hochschule ihren Namen zu leihen, ist dagegen umso höher. 

Die Entscheidung über den Henry-Ford-Bau ist dagegen schärfer umstritten: Einerseits ist das Gebäude zwar repräsentativ und zieht kritische Aufmerksamkeit an. Obwohl jeder den Namen mit dem Großvater assoziiert, ist aber weiter unklar, wer nun auf dem Papier wirklich der Namenspatron ist. Zudem gehören die Hilfeleistungen der Amerikaner – auch der Henry-Ford-Foundation – nach dem Zweiten Weltkrieg zum Gründungsmythos der FU.

Wo man nicht genau hinschaut

Fern von den bekannten Diskussionen gibt es in Berlin auch kleinere Orte, wie die Robert-Rössle-Straße auf dem Campus in Buch, denen kaum Aufmerksamkeit zuteil wird, obwohl sie nach wahren Ekeln benannt sind. Rössle, ein Mediziner und Rassenhygieniker, forderte zur Zeit des Nationalsozialismus „Erbübel (…) mit allen Mitteln zu verhüten“, etwa „durch Sterilisation (…), Kastration (…), Vernichtung lebensunwerten Lebens“. Doch obwohl sich ein paar Stimmen erheben und Petitionen gestartet wurden, dümpelt die Sache vor sich hin. Solche Beispiele gibt es zuhauf: Passionierten Streiterinnen für eine Neubenennung steht dann oftmals eine große Masse an mäßig Interessierten oder skeptischen Anwohnern gegenüber, die lieber in Frieden gelassen werden wollen mit Diskussionsrunden und Adressänderungen.

Manche Debatten, wie die um Ford, erscheinen mit der Zeit in der Tat ermüdend und pedantisch. Und doch ist es der einzige Weg. Wir können nicht einfach ausspeien, wie Heinrich Heine einst: 

Nicht gedacht soll seiner werden,
Nicht im Liede, nicht im Buche –
Dunkler Hund im dunklen Grabe
du verfaulst mit meinem Fluche!

Bevor über Namensänderungen entschieden werden kann, muss lange recherchiert, diskutiert und abgewogen werden. Und das ist gut. Wir wollen die Personen ja nicht in stalinistischer Manier aus der Geschichte tilgen, sondern nur hinterfragen, ob ihnen noch die Ehre des öffentlichen Platzes gebührt. So können die historischen Debatten den Namen, die auf Straßenschildern verblassen, wieder eine lebendige, aber kritisch beleuchtete Biografie geben – ob nun am Ende umbenannt wird, oder nicht. Womöglich ist der dialektische Austausch in diesem Fall gar wichtiger als das Resultat, das er gebiert.

Autor*in

Leon Holly

On the write side of History. @LeonHolly_

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