FURIOS Homestory: Zuhause im Glück?

Lagerkoller und abstürzende Online-Seminare – Das „Kreativsemester” wird nicht spurlos an den Berliner Studis vorbeiziehen. José-Luis Amsler hat Tagebuch geführt.

Tonstudio unter dem Wäscheständer. Homeoffice heißt eben vor allem flexibel bleiben. Bild: José-Luis Amsler

Sehnsüchtig träume ich von einem Hörsaal. Das digitale Sommersemester, so richtig dieses als Maßnahme zur Eindämmung des Coronavirus sein mag, stellt derzeit den Uni-Kosmos auf den Kopf. Nun also Homeoffice statt Hörsaal. Einen Tag zwischen Frust, Klaustrophobie und Improvisation habe ich für euch dokumentiert – geteiltes Leid ist schließlich halbes Leid.

09:30 Uhr – Rise and Shine

Motivationslos starre ich an die Decke meines zehn Quadratmeter großen WG-Zimmers. Gründe aufzustehen gibt es dank dem diese Woche begonnenem „Kreativsemester” weniger denn je. Schließlich mache ich mich doch auf den Weg in die Heimuni, wofür ich kurzerhand die WG-Küche annektiert habe. Wo mich sonst Stimmengewirr und Mensageruch aus der morgendlichen Müdigkeit reißen, empfängt mich nun der überschaubare Inhalt meines Kühlschranks. Dann eben nur Kaffee.

11:45 Uhr – Studieren am Küchentisch

Das erste Online-Seminar des Tages ist geschafft und meine Laune am Tiefpunkt. Neunzig lange Minuten habe ich versucht einer verzerrten Dozierendenstimme zu lauschen, während meine Mitbewohner hinter mir die ZDF-Küchenschlacht nachstellten. Für einen Schreibtisch ist mein Zimmer nämlich zu klein. Seit die FU-Bibliotheken auf Minimalbetrieb umgestellt haben, schreibe ich also Hausarbeiten während neben mir Nudeln mit Ketchup verschlungen werden. 
„Studieren im Bett”, dachte ich noch vor ein paar Wochen, „könnte mir Schlimmeres vorstellen.” Dass ich die Online-Seminare nicht im Bett, sondern, den WLAN-Router verzweifelt ein- und ausstöpselnd, zwischen WG-Küche und Flur verbringen würde, ahnte ich da noch nicht. Natürlich ist es nicht Fehler des aktuell schwer geforderten FU-Präsidiums , dass die Leitungen meines Wohnhauses verlegt wurden, als Rudi Dutschke noch Transpis auf dem Campus aufhängte. Dennoch verfluche ich im Stillen das „Kreativsemester”.

14:45 Uhr – Studi allein zuhaus

Die Influencer*innen in meinem Handy sagen, ich solle gerade jetzt produktiv sein und mich kreativ ausleben. Besonders glaubwürdig wirken sie nicht, aber momentan nehme ich jeden Ratschlag an. Mein Ziel für heute: Einen Radiobeitrag produzieren. Homeoffice bleibt dabei eine Frage der Improvisationskunst. Ein Wäscheständer, zwei Decken – fertig ist das wohl kleinste Tonstudio der Welt.

22:30 Uhr – Uns bleibt immer noch Dahlem

Tatsächlich fühle ich mich nach getaner Arbeit ein wenig besser. Vielleicht sind das aber auch die zwei Gin-Tonic, die mir mein Mitbewohner zum Feierabend aufgedrängt hat. „Es bleibt ein Abenteuer”, denke ich. Aber wenigstens eines, in dem wir alle gemeinsam stecken. 

Ob nun „Kreativsemester” der richtige Ausdruck für diesen Test unseres kollektiven Durchhaltevermögens ist, weiß ich nicht. Doch klar ist, wenn Stimmengewirr und Mensageruch mich irgendwann wieder aus der morgendlichen Müdigkeit reißen, werde ich sie mit offenen Armen empfangen.

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