Kinder, holt die Stifte raus!

„Kreativsemester” – der wohl aufregendste Neologismus des März’ für eine spannende Zeit an der Uni. Doch nach den ersten drei Wochen des Semesters klagen viele Studierende über zu viel Arbeit. Ein Kommentar von Elias Fischer und Maj Pegelow.

„Ein ganz außergewöhnliches Angebot” werde die FU schaffen, pries Ziegler das bevorstehende „Kreativsemester” im März an. In den Träumen begann man, sich die abgefahrensten Lehrformate und -methoden auszumalen: mehr Flexibilität, weniger Leistungsdruck, keine Präsenzpflicht. Doch mittlerweile pfeifen und qualmen die Ohren einiger Studierenden wie der Rauchfang einer 150 Jahre alten Dampflok. Der Grund dafür sind lauter Deadlines für Exposés, Kurztests, Präsentationen und Hausaufgaben. Mathematiker*innen definieren die Variable Kreativität scheinbar als logistische Effektivität. Frei nach dem Motto: „1500 Aufgaben, 12 Wochen. Stapelt geschickt oder ihr erstickt!” So zumindest haben es einige Dozierende umgesetzt, die selbst auf Nachfrage Studierender auf ihren horrenden Anforderungen beharren.

Ein ganz außergewöhnlich beschissenes Angebot

„Das ist auch eine Chance,” schrieb Ziegler. „Neue Impulse” wolle man setzen, „neue Möglichkeiten” geben. Diese beschränken sich derzeit auf fehlende Beinkleider während des Seminars und Parks als Vorlesungsorte, „neue Möglichkeiten” im Sinne hochmoderner, Formate und Lehrmethoden, wie einige Studierende erwartet hatten, gibt es anscheinend nicht. Die FU mitsamt ihrer Lehrkräfte hinkt der Digitalisierung offenbar soweit hinterher, dass Videokonferenzen und E-Learning-Tools als neu betitelt werden. Schön, wenn man sich in einer Krise einen Lichtblick sucht, nicht so schön, wenn man mittendrin steckt. Bei manchen Lehrkräften erwecken sie gar den Eindruck, als krakelten sie erstmals ihre Schiefertafelanschrift mit Paint an eine virtuelle Leinwand. Jedenfalls überzeugen wenig Dozierende durch uneingeschränkten Zugriff zu Vorlesungen, interaktive Sitzungen, Spielereien mit Apps oder wenigstens adäquaten Skills im Umgang mit Webex. Einige hielten das Internet offenbar immer noch für „Neuland”, das sich nie durchsetzen wird, weshalb sie ihr Lehrangebot trotz immenser Relevanz kurzerhand einfach annullierten. 

Möglicherweise wäre die Wanderung durch das Neuland erträglicher gewesen, wenn wenigstens die Studierenden sich in der Semestergestaltung hätten „neue Impulse” geben können. Stichwort: freie Kurswahl disziplinübergreifend. Stichwort: freie Zeiteinteilung. Stattdessen müssen sie sich fürchten, dass ihre Eltern morgen einen blauen Brief mit purpurroten Wachssiegel der Uni erhalten, weil sie oft in einem Seminar zig Aufgaben für einen einzigen Teilnahmeschein hinterherjagen. „Ihr Kind hat zum wiederholten Male eine Hausaufgabe nicht eingereicht. Der Studienfortschritt ist gefährdet.”

Bitte schmipf’ nicht mit mir, Mama

Die Anforderungen, die die Dozierenden an die Studierenden stellen, haben mit der Freiheit, sich zu bilden, nicht mehr viel zu tun. Wöchentlich 500 Wörter hier, da eine Präsentation, hier die Pflicht- und Zusatzlektüre, obwohl der Asta das in einigen Fällen mit Verweis auf die Studienordnungen sogar für unzulässig erklärt hatte. Kann man ja mal ignorieren! Und on top: der Präsenzhorror und ein Anruf statt eines Briefes: „Ihr Kind fehlte gestern wiederholt unentschuldigt. Die Leistung wird nicht anerkannt.”

Was haben die Dozierenden davon, die Studierenden wie motorisierte Hochleistungsgrundschüler*innen zu behandeln? Die unfreiwillig in die Umstellung auf Digitallehre investierte Zeit bringen ihnen die tausenden Hausaufgaben jedenfalls nicht wieder. Im Gegenteil, es müsste sogar aufwendiger sein, alles anschließend gewissenhaft zu korrigieren. Freiwilliger Mehraufwand seitens der Dozierenden oder Bluff? Sollte letzteres der Fall sein, dürften die Teilnehmer*innen am Bildungspokertisch jetzt mit einem lässigen Stirnrunzeln die Sonnenbrille auf die Nase rutschen lassen, den mittleren/stinkenden Finger beider Hände in die Luft strecken, aufstehen und gehen.

Autor*innen

Elias Fischer

Seine Männlichkeit passt nicht ganz in den Bildausschnitt.

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