Und die „Song Machine“ spielt

Gorillaz sind zurück: Mit ihrer „Song Machine“ durchbricht die Band den klassischen Album-Release-Zyklus und liefert seriell neue Tracks und Videos. Julia Hubernagel verfolgt ihr Treiben schon länger und findet: Viel besser kann man’s kaum machen.

Gorillaz Song Machine 2020
Murdoc, Russel (hinten, v. l.), Jamie Hewlett, Noodle, 2D und Damon Albarn (v. l.) veröffentlichen über das Jahr verteilt neue Tracks samt Videos. Foto: Warner Music, Illustration: Joshua Leibig

Gorillaz haben schon immer auf das verzichtet, was bei anderen Bands selbstverständlich zum Rockstar-Einmaleins dazugehört. So kommt die virtuelle britische Band problemlos ohne physische Mitglieder aus: Blur-Sänger Damon Albarn und Comiczeichner Jamie Hewlett erfinden sich mit den fiktiven Charakteren 2D, Noodle, Murdoc und Russel seit 1998 immer wieder neu. Je nach technischem Fortschritt spielte die Band in ihren Anfangstagen im japanischen Stil gezeichnet, gab 2011 wohl eins der ersten Hologramm-Konzerte und navigiert sich heute meist computeranimiert durch Realfilm-Material.

Jetzt brechen Albarn und Hewlett erneut mit Altbewährtem: Alben, von denen Gorillaz 2017 und 2018 nach siebenjähriger Pause zwei innovative Longplayer veröffentlichten, scheinen künftig vergangenen Zeiten anzugehören. „Gorillaz brechen die Form, weil die Form alt geworden ist“, erklärt Schlagzeuger Russel. „Die Welt bewegt sich schneller als ein aufgeladenes Teilchen, also müssen wir bereit sein, uns fallen zu lassen […] Was auch immer also auf uns zukommt, wir sind vorbereitet und bereit, zu produzieren, als gäbe es kein Morgen.“

Mix aus 22 Jahren Gorillaz-Geschichte

Gorillaz schmeißen daher die „Song Machine“ an. Diese beleuchtet seriell die Hintergründe der Songentstehung. Drei Tracks samt Video wurden so bisher released. Folgesongs erscheinen über das Jahr verteilt und durchbrechen so den klassischen Release-Zyklus von EP und Album. Bereits mit den ersten drei Stücken hat es Albarn geschafft, alte und neue Gorillaz-Stile zu vereinen, visuell wie soundtechnisch.

Damon Albarn und Jamie Hewlett (Gorillaz)
Albarn (links) und Hewlett stampften Gorillaz 1998 in ihrer Londoner WG aus dem Boden. Die Musikbranche war bereit für eine gezeichnete Band. Foto: Gorillaz

Der Opener „Momentary Bliss“ steht so noch ganz unter dem Collab-Wahn der „Humanz“-Tour: Auf über 20 Tracks hat Albarn 2017 Kreative von Little Simz über Kali Uchis bis Grace Jones zusammengebracht und ein anspruchsvolles wie vielschichtiges Album geschaffen. Für „Momentary Bliss“ konnte er Slaves und slowthai gewinnen. Unter Albarns Ägide kommt insbesondere letzterer aus sich heraus: Der britische Rapper wartet hier locker mit typischem Post-Punk-Sound auf. Entfernt werden hier Erinnerungen an die „glorious times“ des Punkrock-Mutterlands wach.

„Desolé“ hingegen weckt ganz andere Assoziationen und beschwört die Schwermut eines wolkigen Urlaubstags am Mittelmeer. Die Klänge erinnern an „Africa Express“: Das Musikkollektiv unter Albarns Führung machte in den letzten Jahren mit vornehmlich malischen und südafrikanischen Künstler*innen auf die Klangvielfalt des modernen Afrikas aufmerksam. Auf „Desolé“ ist eine alte Bekannte Albarns zu hören: Fatoumata Diawara ruft mit melancholischen Gesangseinlagen den großen Schmerz gescheiterter Beziehungen wach. „Désolé, tous mes fantômes sont bleus“, heißt es – zu viel ist passiert, als dass es je wieder gut werden könnte.

Comics altern anders

„Aries“ schließlich ist soundtechnisch wohl am zugänglichsten. Visuell erinnert das Video an Roadtrip-Szenen aus „Stylo“, dem tanzbaren Elektro-Banger mit Mos Def und Bobby Womack. Und auch musikalisch ist es den eingängigen Popmelodien aus „Plastic Beach“ (2010) am nächsten. Albarns Vocal-Spur lässt seine letzten Exkursionen in die Solokarriere aufleben, während die 80er-Drum-Machine noch unverkennbar den Sound von „The Now Now“ in sich trägt.

Die Grenzen zwischen Comic und Realität verschwimmen bei der visuell ansprechenden „Song Machine“ immer mehr. Gorillaz altern grandios und suchen nach 22 Jahren noch immer nach dem neuesten Sound, den es in ihr Gesamtwerk aufzunehmen gilt. „Song Machine“ verspricht Abwechslungsreiches für den Rest des Jahres und erlaubt einmal mehr einen Einblick in die Arbeit der erfolgreichsten semi-realen Musikkombo. Damon Albarn beweist aufs Neue, dass er zu den ganz Großen der aktuellen Musik-Top-Etage gehört. Beinahe übernatürlich mutet es daher an, dass er neben Gorillaz auch noch erfolgreich als Kopf von „Blur“ und „The Good, the Bad & the Queen“ agiert und mitunter als Produzent oder Musical-Komponist in Erscheinung tritt.

Autor*in

Julia Hubernagel

Lesen tut Julia Hubernagel sehr gern. Manchmal schreibt sie auch, um einfach mal etwas zurückzugeben.

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