„Journalismus ist der Sauerstoff der Demokratie”

Der Journalismus stecke in der Krise, schreibt Alexandra Borchardt in ihrem Buch „Mehr Wahrheit wagen”. Jetzt hat sie mit Elias Fischer über die darin bestehende Gefahr für die Demokratie gesprochen.

Autorin des Buches „Mehr Wahrheit wagen” Alexandra Borchardt. Foto: Peter Neusser, ©Alexandra Borchardt

Fehlendes Vertrauen des Publikums, fehlende Identität, fehlender Nachwuchs, veraltete Geschäftsmodelle: Elias Fischer hat kürzlich festgestellt, dass Alexandra Borchardt, Journalistin und Gastprofessorin an der UdK Berlin, in ihrem neuen Buch „Mehr Wahrheit wagen” eindeutige Krisensymptome des Journalismus identifiziert. Diese Krisen, so deutet der Untertitel des Buches „Warum die Demokratie einen starken Journalismus braucht” an, gefährden laut Borchardt nicht bloß den Journalismus, sondern die Demokratie. Nun hat die Journalistin in einem Interview erklärt, was Qualitätsjournalismus ist, wie dieser mit der Demokratie zusammenhängt und woran der Journalismus arbeiten sollte, um das Vertrauen des Publikums wieder zu kräftigen.

FURIOS: Frau Borchardt, was genau ist für Sie „starker Journalismus“?

Da stellen Sie direkt zu Beginn die schwierigste Frage. Im Ausschuss des Europarats zum Qualitätsjournalismus im Digitalzeitalter haben wir die ersten Tage tatsächlich nur darüber diskutiert, was Qualitätsjournalismus ist. Tatsächlich ist es schwer, das zu beantworten. Für mich persönlich ist Journalismus stark, wenn seine Prozesse Qualitätskriterien unterliegen. Das heißt zum Beispiel, dass er mehrere Quellen nutzt und diese prüft. Er strebt nach der bestmöglichen Version der Wahrheit. Die kann sich – das sehen wir besonders jetzt in der Pandemie an wissenschaftlichen Erkenntnissen – ständig ändern.

Starker Journalismus beschäftigt sich darüber hinaus mit den Bedürfnissen des Publikums. Dabei geht es nicht darum, dem Publikum nach dem Mund zu reden, sondern darum herauszufinden, welche die wichtigsten Themen im Leben des Publikums sind und welche Informationen es braucht, um Entscheidungen zu treffen. Denn darum geht es im Journalismus: um Meinungsbildung. Er liefert Informationen, damit Bürger*innen sich besser entscheiden können. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um Wahlentscheidungen, das Verkehrsmittel für den Arbeitsweg oder Kinderernährung handelt. Ein Journalismus, der sein Publikum ernstnimmt, das ist für mich starker Journalismus.

Das heißt zusammengefasst: Er ist unabhängig…

Ja, Unabhängigkeit ist zentral. Aktualität auch. Letztlich vertritt Journalismus Grundwerte wie den Erhalt unserer Demokratie. Er stützt und fördert sie. Er strebt nach Aufklärung, nicht nach Agitation. 

Wie genau hängen Journalismus und Demokratie dann zusammen?

Ich habe das neulich mal in einer Podiumsdiskussion gesagt: Journalismus ist der Sauerstoff der Demokratie, überhaupt der Meinungsfreiheit. Journalist*innen übersetzen und vermitteln Geschehnisse so, dass es ein möglichst breiter Teil der Bevölkerung begreift. Sie sagen, was wichtig ist und was wichtig wird. Dadurch regen sie die Bürger*innen zum Nachdenken und zur Teilnahme an politischen Prozessen an.

Es ist erwiesen, dass dort, wo Lokaljournalismus fehlt, das politische Engagement und die Teilhabe abnimmt. Gleichzeitig fühlen sich Entscheidungsträger*innen unbeobachtet, wenn es keinen Lokaljournalismus gibt; es wird mehr gemauschelt, weil die Kontrolle durch den Journalismus fehlt. Hinzukommt die Bildungsfunktion des Journalismus. Ohne eine gute Bildung können Bürger*innen sich schwerer entscheiden, sind anfälliger für Propaganda. All das hat sehr viel mit Demokratie zu tun.

Gibt es keine anderen Instrumente als den Journalismus, um unabhängig zu informieren und zur Willensbildung beizutragen?

Doch, natürlich. Die Möglichkeiten der direkten Kommunikation über soziale Medien sind viel größer geworden. Allerdings ist dort alles sehr fragmentiert; Aussagen und Informationen, die der Journalismus bündelt und für ein breites Publikum zugänglich macht, kommen in sozialen Medien nicht überall an. Wir wissen ja alle, oder vielleicht wissen es eben nicht alle, dass in sozialen Medien Algorithmen Aussagen und Informationen gewichten und deswegen unterschiedlich verteilen. Das tun sie natürlich mit journalistischen Texten, Beiträgen und Videos auch.

Bei Beiträgen, die mir auf sozialen Medien angezeigt werden, habe ich als Bürger*in außerdem keine Handhabe zu überprüfen, ob sie unabhängig oder nur parteipolitisch sind, welche Interessen dahinterstecken. Da kann es sich schnell um Werbung oder Propaganda handeln. Das ist prinzipiell nichts Schlimmes und gehört zur Gesellschaft dazu. Wenn man aber Informationen braucht, deren Fakten gecheckt sind, benötigt man den Journalismus. Er verpflichtet sich schließlich darauf, unabhängig zu berichten und Informationen aus zuverlässigen Quellen zu beziehen.

Welche Folgen hat es, wenn der Journalismus es nicht schafft, die wichtigsten Informationen zu bündeln und sie dem Publikum zu vermitteln?

Der Journalismus schafft es schon, bzw. die Journalist*innen – hoffentlich. Die Frage ist, ob man sie lässt. Die wirtschaftliche Situation der Medien ist extrem schwierig, aber die Meinungsvielfalt gibt es nur dann, wenn unabhängige Medien existieren und funktionieren. Außerdem müssen Meinungs- und Pressefreiheit politisch geschützt werden. In vielen Ländern mit eher autoritären Regimen ist das nicht so. Gerade die Krise wird von vielen genutzt, um die Pressefreiheit einzuschränken. Da werden nur die Lieblingsmedien zu Pressekonferenzen unter dem Vorwand der Hygienevorschriften zugelassen oder Fragen nicht gestattet.

Trump und andere nutzen etwa einen anderen Trick. Sie diskreditieren die Presse einfach als Ganzes, indem sie von „Fake News Press“ reden. Dadurch höhlt man das Vertrauen mancher Büger*innen in den Journalismus aus. Wenn dieses Vertrauen aber fehlt, wird es für den Journalismus schwierig. Das Vertrauen – und da schließt sich der Kreis – erreichen Journalist*innen nur, wenn sie sich zu Verbündeten der Bürger*innen machen, nicht wenn sie mit Eliten paktieren. Die Bürger*innen haben ein relativ feines Gespür dafür, ob der Journalismus wirklich für sie da ist oder anderen Interessen dient.

Inwieweit widerspricht das Bündnis zwischen Journalismus und Publikum ihrer Aussage, dass der Journalismus sich mit den Bedürfnissen der Bürger*innen beschäftigen, ihnen aber nicht nach dem Mund reden soll?

Man kann es nie allen recht machen. Man muss schon schauen, was im gesellschaftlichen Interesse ist. Viele fragen sich immer, ob Boulevardjournalismus überhaupt Journalismus sei und ob er eine Daseinsberechtigung habe. Auf jeden Fall hat er eine, nur nähert er sich Themen auf anderem Wege. Aber es werden gerade im Boulevardjournalismus oft journalistische Grundsätze verletzt, indem man den Bürger*innen zu sehr nach dem Mund redet, ihre Emotionen aufnimmt. Das regt wichtige Debatten an, ist aber im Ergebnis nicht immer gut für die Bürger*innen, zum Beispiel, wenn es die Gesellschaft spaltet. Man muss schauen, dass umfassend und objektiv informiert und den Leuten anschließend zugetraut wird, dass sie sich eine eigene Meinung bilden können. Journalist*innen sollten sich nicht unbedingt auf eine Seite schlagen.

Das heißt aber, dass Sie beim starken Journalismus auch immer das Publikum in die Pflicht nehmen?

Absolut. Tatsächlich ist das ein großer Fehler, den Journalist*innen oft machen. Sie unterschätzen das Publikum. Der Journalismus kommt häufig mit einer gewissen Arroganz daher; auch bedingt durch die Nähe, die er vielleicht zu Funktionsträgern hat. Dabei verstehen viele Leute sehr wohl, bzw. spüren, welche Interessen möglicherweise hinter etwas stecken könnten. Oder sie haben das Gefühl, bevormundet zu werden. Das ist ein ganz gefährliches Gefühl. Menschen reagieren empfindlich drauf, wenn sie nicht ernst genommen werden, aber genau das macht, wie ich eingangs gesagt habe, starker Journalismus: das Publikum ernstnehmen. Er lässt Raum für Meinungsbildung.

Die Leute kapieren schon, dass soziale Netzwerke nicht unbedingt immer zuverlässig sind, glauben nicht alles und ändern entsprechend ihre Gewohnheiten. Je jünger beispielsweise das Publikum ist, desto geschickter ist es darin, sogenannte Fake News zu erkennen. Es googelt dann, weil sie hinter dem Beitrag einen Bot oder Fehlinformationen vermuten. Studien zeigen, dass eher die Älteren, die den Umgang mit den sozialen Netzwerken nicht so gewöhnt sind, dazu neigen, Falschinformationen weiterzuverbreiten. Es gilt also, niemals das Publikum zu unterschätzen!

Was können Journalisten und ihr Publikum gemeinsam tun, um eine funktionierende Demokratie zu gewährleisten?

Vor allem miteinander reden und interagieren. Je mehr man sich annähert, desto besser wird es. Deswegen ist der Lokaljournalismus so wichtig. Er bietet den Raum, in dem sich Publikum und Journalist*innen wirklich begegnen. Ein zweiter wichtiger Punkt ist, dass Redaktionen vielfältiger werden müssen, um Menschen aus vielen verschiedenen sozialen Schichten abzuholen. Er darf sich nicht nur an ein Bildungsbürgertum wenden, weil er davon ausgeht, dass der Rest ohnehin nicht folgen kann.

In 25 Jahren Berufserfahrung in Redaktionen konnte ich eine gewisse Überheblichkeit bei der einen oder dem anderen festmachen, aber natürlich gibt es unglaublich viele um die Bürger*innen bemühte, engagierte und bescheidene Journalist*innen. Journalist*innen sollten sich trauen, neue Formate ausprobieren, zu experimentieren. Es muss nicht unbedingt die 300-Zeilen-Reportage sein, auch auf Instagram oder anderen Kanälen können tolle Aufklärungsformate  gestaltet werden. Ich halte es für extrem wichtig, dass der Journalismus auf die Plattformen geht, auf denen sich das Publikum, vor allem das jüngere, aufhält. Der Qualitätsjournalismus muss viel breiter und vielfältiger sein.

Vielen Dank, Frau Borchardt.


Alexandra Borchardt ist Journalistin, Autorin und Gastdozentin an der UdK. Akademisch beschäftigt sie sich seit einiger Zeit mit dem Medienwandel sowie den Chancen und Herausforderungen für den Journalismus, die mit dem Wandel einhergehen.

Autor*in

Elias Fischer

Seine Männlichkeit passt nicht ganz in den Bildausschnitt.

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