„Mit Zensur spielt man Verschwörungstheoretiker*innen in die Karten”

Bill Gates, die WHO, Impfstoff, der vom Himmel regnet. Wie man mit Verschwörungstheorien umgeht und warum der Begriff irreführend ist, erklärt der Kommunikationsforscher Alexander Görke im Interview mit Maj Pegelow.

Unser Model hat sich glücklicherweise nur fürs Bild den Aluhut aufgesetzt. Foto: Maj Pegelow

Alexander Görke ist Professor für Wissenschaftsjournalismus am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft an der FU.

FURIOS: Was genau macht eine Verschwörungstheorie überhaupt aus?

Alexander Görke: Reden wir erstmal über den Begriff „Verschwörungstheorie”. Er hat sich eingebürgert, aber man hebt sie dadurch in einen Status wissenschaftlicher Theorien – und das sind sie nicht. Vielleicht könnte man von Verschwörungsmythen sprechen. 

Verschwörungsmythen sind eine Art der sehr normativen, sehr ideologischen Art, Wirklichkeiten zu erklären. Wenn ich überfordert bin von dem, was ich sehe, dann suche ich mir andere Mechanismen der Erklärung.  Verschwörungstheoretiker*innen haben da angeblich aus der Fülle der Informationen diejenigen herausgefunden, die sich dann auf wunderbare Weise zu einer verblüffend einfachen Welterklärung zusammenfügen. Man hat dann am Ende den Eindruck, dass man irgendetwas verstanden hat. 

Warum sind die Verschwörungsmythen in dieser Krisensituation so präsent?

Wir befinden uns gerade in einer sehr umfassenden Krise, die jede Menge Unsicherheit bei uns allen mit sich bringt. Wir, die jetzt gewissermaßen in Zwangsquarantäne sitzen, können unterschiedlich gut mit dieser Hilf- und Orientierungslosigkeit umgehen. Mit Kommunikation erfüllen Menschen in solchen Situationen schlicht das Bedürfnis, zu verstehen, was vor sich geht. Wenn sie den Eindruck haben, selber nicht handlungsfähig und desorientiert zu sein, neigen sie  in der Not auch zu solchen Verschwörungsmythen. 

Profitiert jemand von den Verschwörungsmythen?

Am meisten profitieren die Anhänger*innen von Verschwörungstheorien. Man meint, man habe etwas verstanden, aber am Ende würde das  die große Mehrheit als Schwachsinn oder Blödsinn bezeichnen. Denken Sie an die aktuellen Verschwörungsmythen: Dass Bill Gates die WHO gekapert habe und vorhabe, mit medizinischen Mitteln die Weltbevölkerung auf 500 Millionen einzudämmen. Was haben sie davon, das zu glauben? Sie haben ein klares Feindbild und wissen, wo die vermeintlichen Lügen stehen. Sie haben eine gewisse Orientierung im Leben. 

Welche Gefahren kann die Verbreitung der Mythen mit sich bringen?

In erster Linie tun diejenigen, die an Verschwörungsmythen glauben, sich selber nichts Gutes. Es ist nicht zu vermeiden, dass auch sie irgendwann an die Grenzen ihrer Blase stoßen und merken, dass sie eigentlich nicht verstanden haben, was vor sich geht. Das kann relativ drastisch sein, denn es ist letztendlich ein Trugschluss, eine Art von Selbsttäuschung.

Außerdem lenkt die Beschäftigung mit Verschwörungsmythen ab. Anstatt wirklich wichtige Dinge zu sagen, nötigen sie uns eine Debatte ab, in der wir uns mit Stuss auseinandersetzen. Wir müssen in der Coronakrise vieles aufarbeiten: Waren es die richtigen Pläne, war der Lockdown die richtige Entscheidung? Das muss auch von Wissenschaftler*innen diskutiert werden, in einer seriöse Diskussion. Wir haben nur begrenzte Kapazitäten, uns mit solchen Themen zu beschäftigen. Je mehr wir uns mit Problemen beschäftigen, die eigentlich keine sind, desto weniger reale und wirklich wichtige Themen können wir uns dazuholen. 

Besonders das Internet wird für die Verbreitung der Verschwörungsmythen genutzt. Gibt es eine sinnvolle Lösung, um die Falschinformationen einzuschränken?

Das wäre wünschenswert. Es ist aber schwierig, wenn der Staat oder die Regierung auf die Idee kommt, sie zu verbieten. Was ist die Botschaft, die man damit aussendet? Es ist absehbar, dass dadurch die nächste Verschwörungstheorie in Gang gesetzt werden kann, weil gesagt wird, man dürfe nicht mal mehr etwas sagen. Mit Verboten spielt man den Autor*innen und denjenigen, die etwas zu diesen Verschwörungsmythen beitragen, eher in die Karten. 

Was man tun kann, ist, dass man den Menschen erklärt, wie Medien funktionieren und was Informationsqualität ist. Nicht alles, was man im Internet findet, ist glaubwürdig. Das muss man lernen. Wenn Sie in einem Haushalt groß werden, in dem Sie nie eine Tageszeitung hatten, oder diese nie gelesen und verstanden haben, haben Sie natürlich Schwierigkeiten, zu verstehen, wie Medien überhaupt funktionieren.

Diskutieren oder ignorieren – welcher Umgang mit Verschwörungsmythen ist sinnvoll?

Wenn Sie sich allen Verschwörungsmythen stellen, kommen sie aus dem Diskurs gar nicht mehr raus. Er hat etwas hermetisches, deshalb das Bild der Blase. Sie können da sehr leicht reingezogen werden, deswegen ist es eine Überwindung, sich Verschwörungstheorien entgegenzustellen. Stattdessen kann man sie ignorieren. Dann muss man aber damit auskommen, dass den Menschen kommunikativ oder im öffentlichen Raum einfach der Platz überlassen wird. Wer das nicht möchte, muss tatsächlich dagegen halten. 

Und man kann natürlich versuchen, ihnen mit Humor zu begegnen. Dafür kann man diese recht kruden Theorien als einen Anlass nehmen, um darüber zu lachen und dieses Lachen dann zurückzuspielen. Wenn man sich über die Mythen lustig macht, sie spielerisch durchgeht,  wird ihren Anhänger*innen die Möglichkeit geraubt, die Verschwörungstheorien als eine taugliche Wirklichkeitskonstruktion in den öffentlichen Diskurs einzuspeisen. Anders ist das, wenn ein Mensch oder eine Menschengruppe gefährdet wird, beispielsweise durch antisemitische Verschwörungen. Dann muss man einschreiten, da sollte sich jede*r Einzelne gefordert fühlen, dem entgegenzutreten.

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