Nicht allein mit der Nightline

Seit letztem Wintersemester gibt es mit der Nightline ein Zuhörtelefon von Studierenden für Studierende. Da ein soziales Leben kaum noch möglich ist, haben Mieszko Schaar und Gregory Gutmann einfach mal angerufen und von ihren Problemen erzählt.

Hilfe kommt durch die Strippe. (Quelle: Pixabay.com)

Kurz vor dem Anruf bei der Nightline bin ich aufgeregt, da ich bisher selten einer unbekannten Person von meiner Lebenssituation erzählt habe. Weil ich aber aufgrund der wochenlangen Selbstisolation recht strapazierte Nerven habe, möchte ich herausfinden, ob mir ein Gespräch bei der Nightline helfen kann. Nachdem ich die Nummer gewählt habe, dauert es einen Augenblick, bis ich durchkomme. Ich werde von einer entspannt klingenden Männerstimme begrüßt.

Offene Ohren vollquatschen

Die Nightline ist ein Zuhörtelefon von Studierenden für Studierende. „Jede Person, die das Gefühl hat, ein offenes Ohr zu brauchen, kann bei uns anrufen.”, sagt Tanja Rathmann, Initiatorin des Projekts. Die Berliner Nightline kann immer dienstags und donnerstags abends erreicht werden. An den übrigen Tagen steht die Nightline anderer Städte zur Verfügung. 

Da bei der Nightline Anrufer*innen über jedes Thema reden können, gebe ich die Richtung des Gesprächs vor. Ohne langes Nachdenken beginne ich direkt zu erzählen, wie mich die soziale Isolation belastet und sich das in meiner gesamten Stimmung niederschlägt. Nach einem etwas wirren Anfang, dem mein Telefonpartner geduldig zuhört, weicht meine anfängliche Aufregung einer gewissen Vergnügtheit.

Wenn ich bei meinen Ausführungen ins Stocken gerate oder nicht mehr weiter weiß, werde ich durch Nachfragen dazu gebracht, neue Gedanken zu entwickeln. Ich fange an, erzählend über meine Probleme nachzudenken. Dass mir dieses Gespräch Freude bereiten könnte, hätte ich vorher nicht vermutet.

Sich selbst reden hören

Wie Tanja Rathmann erklärt, üben die ehrenamtlich teilnehmenden Studierenden in dreitägigen Schulungen das aktive Zuhören nach den Grundsätzen von Carl Rogers. Die Idee hinter dem aktiven Zuhören sei, dass die Anrufenden am besten über ihre eigene Situation Bescheid wüssten. Anstatt Tipps oder Ratschläge zu bekommen, solle ihnen die Möglichkeit gegeben werden, sich einfach mal auszusprechen. In vielen Fällen helfe das bereits, die eigenen Gedanken zu ordnen und neue Lösungsmöglichkeiten zu finden.

Natürlich könne ein solches Zuhörtelefon keine Therapie oder professionelle Seelsorge ersetzen, aber das sei auch nicht der Sinn hinter der Nightline, sagt Rathmann. Schwere Fälle würden, wenn möglich, an geeignetere Anlaufstellen weitergeleitet. Trotzdem muss ja nicht erst die Welt untergehen, bevor man sich Hilfe suchen darf. Insbesondere in der gegenwärtigen Lage, in der die Hälfte der Bevölkerung von größerem psychologischen Stress berichtet, ist es ein schönes Angebot, um ein wenig Druck abzulassen. Egal, wie klein einem die eigenen Probleme dabei vorkommen mögen.

Nach 20 Minuten beende ich das Gespräch, obwohl eine längere Unterhaltung möglich gewesen wäre. Meine Probleme hat es zwar nicht gelöst, doch offen und frei davon zu erzählen, hat mir geholfen, sie zu reflektieren und Lösungsstrategien zu entwickeln. Mein Gesprächspartner bietet mir an, jederzeit wieder anzurufen.

Die Berliner Nightline ist unter (030) 2093 70666 dienstags und donnerstags von 20:30 – 24:00 Uhr zu erreichen. An anderen Tagen steht sie in anderen Städten zur Verfügung.

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