Virtuell verfehlt

Auch wenn die Häuser der Berliner Kulturlandschaft zögerlich ihre Türen wieder öffnen, spielt sich viel des kulturellen Lebens weiterhin online ab. Armina Takvorijan hat sich virtuell durch das National Women’s History Museum geklickt. 

Screenshot: Armina Takvorijan von Visit the museum as you have never done before! | Fundació Gala

Dass die aktuellen Umstände seit Wochen so ziemlich jeden Bereich der Gesellschaft herausfordern, dürfte mittlerweile bei jedem angekommen sein. Von akademischen Institutionen über Unternehmen bis hin zum Privatleben: Die momentane Situation  bewegt scheinbar alle dazu, sich auf das Abenteuer Digitalisierung einzulassen, um dem Social Distancing gerecht zu werden. Doch gerade kulturelle Aktivitäten wie Theater- oder Museumsbesuche finden ihren Reiz in der Präsenz, im wahrhaftigen Erleben. Einige Kultureinrichtungen nehmen derzeit einen alternativen Weg, um ihre Inhalte für ein Publikum zugänglich machen zu können. So bieten diverse Museen virtuelle Rundgänge an. Eines, das sich Interessierte nun bequem von der Couch aus anschauen können, ist das National Women’s History Museum (NWHM) in Virginia, USA. Das adressiert in den Online-Rundgängen zwar brandaktuelle Thematiken, scheitert aber an einer abwechslungsreichen Darstellung.

Das NWHM ist speziell, denn dort geht es nicht per se um die klassische Kunst, stattdessen rückt es die Frau und Frauenbewegungen in den Fokus. So zeigt es beispielsweise die ersten Akte der Debatte über geschlechtsspezifische Ungleichheiten, die heute in den sozialen Medien intensiv geführt wird. Viele Frauen dürften schnell einen persönlichen Bezug zwischen ihrem eigenen Leben und den Ausstellungen entwickeln. In 30 verschiedenen Ausstellungen, die sich alle der Frau in den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Bereichen widmen, hat man die Qual der Wahl: Frauen in der Wissenschaft, Frauen in Mode oder im Sport.

“Pathways to Equality” ist eine dieser Sammlungen, die Besucher*innen in einer Präsentation, getarnt als Online-Rundgang, durchlaufen können. Darin durchleben sie das Amerika des 19. Jahrhunderts. Thematisiert werden auch hier die damalige Ungerechtigkeit gegenüber Frauen sowie die Ungleichheit von Frauen und Männern. Diese reichten von der Bezahlung über ungleiche Bildungszugänge bis hin zur politischen Exklusion. Im viergeteilten Rundgangs werden verschiedene Frauen der damaligen Zeit vorgestellt, die ein und dasselbe Ziel verfolgten: Sie verlangten politisches Mitspracherecht, um geschlechtsspezifische Ungleichheiten angehen und lösen zu können. Jede Passage zeigt andere Frauen, die als Visionärinnen, Autorinnen oder Reformatorinnen feministischer Bewegungen in Erscheinung traten. Lucretia Mott, Lucy Stone und Ida B. Wells-Barnett sind nur einige von denen.

Gender-Pay-Gap ist so 1851, und 2020!

Die Erwartung, auf einen professionellen 360-Grad-Rundgang zu stoßen, bei dem man sich virtuell durch das Museums bewegen kann, wird nicht erfüllt. Stattdessen präsentiert sich Betrachtenden nur eine Slideshow aus Bild und Text. Andere Museen wie das Dalí-Theatre-Museum sind da deutlich besser aufgestellt; dort ist der erwünschte 360-Grad-Rundgang, schafft somit eine Annäherung an einen richtigen Museumsbesuch. Dennoch ist die Präsentation des NWHM inhaltlich interessant. So überrascht es, wie weit aktuelle Themen wie die Gender-Pay-Gap historisch zurückgehen. Schon 1851 kritisierte eine Frau namens Sojourner Truth die Annahme, dass Frauen das “schwächere” Geschlecht seien und somit (in klassischen Geschlechterrollen!) finanziell abhängig vom Mann zu sein haben.

Gerade, weil die Inhalte spannend sind, lässt die Präsentation eine Sprachauswahl wie beim typischen Audioguide missen, denn sprachlich ist sie anspruchsvoll, sodass solide Englischkenntnisse gelegentlich nicht ausreichend sind. Ebenso könnten audiovisuelle Elemente von Vorteil sein, um den virtuellen Rundgang etwas vielfältiger darzustellen und dem realen Erlebnis anzunähern. Aber abgesehen von der diskutablen Umsetzung wird man sich nach dem Rundgang eingestehen dürfen, dass vermeintlich vergangene Problematiken immer noch präsent sind, obwohl sie seit fast 200 Jahren kritisiert werden. Allein deswegen lohnt sich der Rundgang durchs NWHM. Er ist definitiv keine Alternative, wenn es ums Erleben einer Ausstellung geht, aber eine, wenn die eigene Wissbegierigkeit gestillt werden möchte.

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