Libellen mögen’s rough

Wer wollte sich nicht immer schon mit Entomologie beschäftigen? Julia Hubernagel hat sich diesen Traum verspätet erfüllt und das Buch „Wenn der Nagekäfer zweimal klopft: Das geheime Leben der Insekten“ für unser wissenschaftliches Bücher-Bingo besprochen.

Goulsons sexuelle Aufklärung aus dem Insektenreich. Foto und Bildmontage: Julia Hubernagel

Dave Goulson hat ein Buch über das geheime Leben der Insekten geschrieben. Daran ist zunächst nichts Außergewöhnliches, denn Goulson ist promovierter Schmetterlingsexperte und hat bereits mit „Und sie fliegt doch: Eine kurze Geschichte der Hummel“ einen Bestseller über literarisch noch wenig beachtete Tierarten veröffentlicht. Ungewöhnlich ist hingegen, dass der naturentfremdete Laie sich diese 300 Seiten Insekten-Idiosynkrasien problemlos zu Gemüte führen kann – und das durchaus gewinnbringend.

Was wir von den Insekten lernen können, sei der erstaunliche Mix aus grenzenlosem Altruismus und unglaublichem Egoismus, schreibt Goulson. Und wirklich zeigt der Blick auf die Wiese nur die alltäglichen Kämpfe des Menschen im Kleinstformat: Nahrungsbeschaffung und mehr oder minder erfolgreiche Paarungsversuche nehmen hier wie dort fast das ganze Leben ein. Gerade letzteren räumt Goulson viel Platz ein. Die von ihm beschriebene Insektenwelt ist erstaunlich sexuell.

Paarungsverhalten nimmt bizarre Formen an

„So unendlich vielgestaltig die Lebenszyklen der Insekten sind, so außerordentlich mannigfaltig und oft bizarr ist auch ihr Paarungsverhalten“, weiß Goulson. „Während männliche Schmetterlinge ihre Partnerinnen mit ihren schön gezeichneten Flügeln verführen, locken männliche Skorpionsfliegen ihre Partnerinnen mit Häufchen getrockneten Speichels an.“ Dabei stoßen auch Insekten auf Konkurrenten, die es mit einem gekonnten Betonen der eigenen körperlichen Vorzüge auszustechen gilt. Männliche Stielaugenfliegen wissen dabei genau, was ihren zukünftigen Partnerinnen gefällt: Der, dessen Augen am weitesten auseinanderstehen, wird von der beeindruckten Braut zum Paarungstanz aufgefordert.

Nach dem erfolgreichen Werben geht es mitunter hart zur Sache. Besonders Libellen mögen es rough. „Bei manchen Spezies sind die männlichen Begattungsorgane mit Dornen versehen, die in den Kopf des Weibchens eindringen“, beschreibt Goulson den Prozess anschaulich. „Ungewöhnlicherweise befindet sich der Penis des Libellenmännchens relativ weit vorne auf der Unterseite des Abdomens, direkt hinter den Flügeln.“ Damit es zur Paarung kommen kann, muss das Libellenpaar sich in verschiedene Richtung krümmen – et voilà, ein Paarungsrad entsteht, das einem Herz nicht unähnlich sieht.

Zehn Trillionen Krabbler unter uns

Goulson beschreibt die Physiognomie der Insekten anschaulich und verzichtet auf unnötige Fachtermini. Ohne die spezielle Art vor Augen zu haben, spricht die Wortwahl für sich selbst: „Die Larve ist eine ausschließlich auf Wachstum angelegte Fressmaschine und besteht lediglich aus einem Mund und einem Verdauungssystem, die von einem schwammigen Sack umgeben sind.“ Vermeintlich unscheinbare Insekten sind oft spannender als bunt schillernde Artgenossen. Selbst Fliegen kann Goulson Interessantes abgewinnen. Der Großteil der 240.000 Fliegenarten ist noch nicht erforscht. Wem war schon bewusst, dass den lästigen Tanzfliegen ein Geburtsgeheimnis innewohnt? „Wir haben keine Ahnung, wie diese Larven aussehen, wo sie leben und was sie fressen – die adulten Fliegen erscheinen jeden Sommer wie aus dem Nichts“, staunt Goulson.

Zehn Trillionen Insekten leben schätzungsweise auf der Erde, führt der Biologe in einem Nebensatz an. Ebenso nebensächlich erwähnt er eines der zähesten Lebewesen, die es gibt: das Bärtierchen. Diese höchstens ein Millimeter großen Tiere können zehn Jahre ohne Wasser leben, auf bis zu -273 Grad Celsius unterkühlt und auf bis zu 150 Grad Celsius erhitzt werden und vertragen ein Tausendfaches der für Menschen tödlichen Dosis radioaktiver Strahlung. „Ich habe absolut keine Ahnung, warum Wissenschaftler so verbissen versuchen, diese harmlosen kleinen Kreaturen zu töten“, kommentiert Goulson ironisch.

Überhaupt verleiht er seiner Bewunderung für Insekten oftmals Ausdruck. „Wenn der Nagekäfer zweimal klopft“ ist kein Fachbuch, Goulson erwähnt immer wieder private Details über seine wissenschaftliche Laufbahn und seine Erlebnisse als Insektenexperte. Das ist mitunter erhellend, öfter jedoch problematisch: Goulson ist kein Romancier und so sind diese Abschnitte meistens langatmig und verlaufen ins Leere. Ähnlich sieht es bei politischen Inhalten aus. Immer wieder macht er auf den Artenschwund oder durch Müll verursachte Probleme aufmerksam. Dieser belehrenden Kommentare hätte es jedoch gar nicht gebraucht – die unglaubliche Vielfalt der Kleinsttiere spricht eigentlich für sich selbst.

Trotz dieser geringfügigen Mängel ist Goulsons Buch ein großer Gewinn für den*die Städter*in und Insektennoviz*in. Wer das Prinzip von Bienchen und Blümchen bislang nicht verstanden hatte, ist nach der Lektüre definitiv aufgeklärt.

Autor*in

Julia Hubernagel

Lesen tut Julia Hubernagel sehr gern. Manchmal schreibt sie auch, um einfach mal etwas zurückzugeben.

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