Unsichtbar am Rand der Gesellschaft

Die Mitarbeitenden des Berliner Drogennotdienstes wurden durch die Corona-Pandemie vor ein Dilemma zwischen Hilfeleistung für ihre Klient*innen und Sicherung derer Gesundheit gestellt. Eine studentische Mitarbeiterin berichtet Tamara Teuber von der aktuellen Situation.

Drogennotdienst Berlin
Seit Beginn der Coronakrise sind die Türen des Drogennotdienstes geschlossen. Bild: DND

Ein scheinbar typischer Bürokomplex in Tempelhof-Schöneberg: Menschen gehen ein und aus, das Telefon läutet ununterbrochen und die Türklingel ergänzt den Geräuschpegel. Für gewöhnlich sitzt Irene inmitten dieses Geschehens. Sie berät Menschen mit Suchtproblematik oder deren Angehörige am Telefon und empfängt Klient*innen am Tresen des Drogennotdienstes, kurz DND, des „Notdienst für Suchtmittelgefährdete und -abhängige Berlin e.V.“ „Wir arbeiten vermittelnd, aber nicht therapeutisch. Betroffene können sich immer zuerst an uns wenden und wir suchen dann nach einer langfristigen Lösung“, erklärt sie. In Kooperation mit Krankenhäusern und Therapieeinrichtungen entstand das Angebot „Therapie Sofort“, das eine schnellstmögliche Vermittlung in Therapie ermöglichte. Da hier auch Personen ohne festen Wohnsitz die benötigte Hilfe bekommen können, ist der DND Anlaufstelle für viele obdachlose Menschen. Sozialarbeiter*innen informieren über Entwöhnungstherapie, Entgiftung, Partydrogen-Konsum und spezielle Angebote für Jugendliche oder Geflüchtete. Außerdem kann der DND in die Krisenwohnung, eine Notübernachtung des Vereins, vermitteln.

Vor Corona fanden die meisten Beratungen vor Ort statt. Mit und auch ohne Termin hatte der DND an Wochentagen, aber auch am Wochenende und Feiertagen geöffnet. Das Angebot war sehr gefragt und der Warteraum immer voll. Doch die aktuelle Situation stellte die Mitarbeitenden vor eine Herausforderung: Ein Großteil des Klientels zähle aufgrund von Nebenerkrankungen wie HIV, Hepatitis oder COPD (chronisch-obstruktive Lungenerkrankung) zur Risikogruppe. Außerdem sei ein geschwächtes Immunsystem oft die Folge exzessiven Drogenkonsums, beschreibt die Studentin: „Wir konnten den Klient*innen mit unserer normalen Arbeitsweise nicht mehr ausreichende Sicherheit garantieren, weshalb wir den Direktkontakt zu und zwischen ihnen minimieren wollten.“

Der Spagat zwischen Fahrlässigkeit und Verantwortungsbewusstsein

Als im März die Beschränkungen in allen Lebensbereichen zunahmen, hat auch der Verein versucht, den Betrieb an die Maßnahmen anzupassen. Konkrete Anweisungen dafür habe es nicht gegeben, weshalb der DND sich gezwungen sah, vorsichtshalber seine Türen zu schließen.

Dadurch fielen viele direkte Angebote des Vereins weg, wie beispielsweise „Therapie Sofort“, aber auch die stetige Erreichbarkeit vor Ort. Außerdem änderte sich der Spritzentausch, der unter anderem zu Irenes Aufgaben zählt: „Normalerweise können sich Klient*innen alle Utensilien vor Ort holen, die sie für einen risikoärmeren Konsum benötigen”, berichtet sie. Stattdessen wird das Spritzbesteck jetzt, unter Einhaltung des Sicherheitsabstandes, in fertig gepackte Papiertüte an Nutzer*innen vor der Eingangstür ausgegeben.

Spritzen Drogennotdienst
Spritzutensilien werden beim DND mittlerweile kontaktfrei ausgegeben. Bild: DND

Außerdem wurde die persönliche Beratung, die sonst als „Safe Space” dient, durch Telefontermine und schrittweise auch durch Online-Beratungen ersetzt. Die Verzweiflung der Klient*innen nahm stark zu und damit auch die Zahl der Anrufe bei der Drogenhotline. Gründe dafür seien unter anderem die Lieferengpässe im deutschen Drogenmarkt aufgrund der globalen Ausbreitung des Virus und die hohe psychische Belastung durch die häusliche Isolation, erklärt die Studentin. Die Umstellung des Dienstes führte allerdings zu einem Problem: Obdachlose Menschen ohne Handy und Internetzugang konnten nicht mehr erreicht werden.

Gleichzeitig wurde das Hilfesystem für Betroffene eingeschränkt. So wurden zum Beispiel viele der sonst für den körperlichen Entzug zur Verfügung stehenden Betten in Krankenhäusern umfunktioniert, da dort die Corona-Prävention im Vordergrund stand. Auch in der Krisenwohnung konnten zeitweise keine Neuzugänge aufgenommen werden. „Wir bekamen dauernd Informationen oder fragten nach, wer oder was noch Hilfe anbieten konnte. Der tägliche Input war enorm”, erzählt Irene.

„Zuhause bleiben zu können ist ein Privileg, das jede*r wertschätzen sollte“

Im DND machte die Krise, wie auch in vielen anderen Bereichen des Sozialsystems, die bestehende Ungleichheit in der Gesellschaft deutlich. Hilfsbedürftige Menschen bleiben unsichtbar. Auch sind manche aktuelle Veränderungen, beispielsweise die Umstellungen ins Digitale, nicht für alle gleichermaßen zugänglich. Deshalb wünscht sich Irene, „dass Menschen, die keine Lobby haben, die deren Interessen durchsetzen kann, mehr repräsentiert und miteinbezogen werden.”

Da sich die Situation mittlerweile etwas entspannt hat, können Klient*innen zumindest wieder in die Krisenwohnung vermittelt werden. Trotzdem bleiben die Türen des DND vorerst geschlossen und der Betrieb von der Normalität weit entfernt. Der weitere Verlauf der Pandemie wird zeigen, ob es zu erneuten Einschränkungen oder bald zur Wiedereröffnung kommen wird.

Der DND ist 24 Stunden am Tag über die Sucht- und Drogenhotline 030 19237, oder auf der Website www.drogennotdienst.com erreichbar.

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