„Die Gremien müssen tatsächlich eine Rolle spielen”

Illustration: Klara Siedenburg

Das Berliner Hochschulgesetz wird novelliert, an Berliner Unis kann sich dadurch viel ändern. Mit dem SPD-Politiker Matthias Trenczek sprachen Julian Sadeghi und Julian von Bülow darüber, was sich bei Demokratie, Nachhaltigkeit und Digitalisierung für Studierende ändern könnte.

1988/89 streikten die Berliner Studierenden für bessere Studienbedingungen – mit Erfolg. Der Studierendenvertreter Matthias Trenczek saß anschließend in der Verhandlungsgruppe, die für die SPD einen Entwurf für ein neues Hochschulgesetz erarbeitete. Heute ist er Anwalt für Hochschulrecht und Sprecher des Fachausschusses „Stadt des Wissens“ der Berliner SPD.

Rechtsanwalt Matthias Trenczek. Foto: Privat

FURIOS: Regelmäßig wird das Berliner Hochschulgesetz angepasst. Wieso muss man da so häufig ran?

Nehmen wir zum Beispiel das BerlHG von 1990, das war das Ergebnis der damaligen Studierendenauseinandersetzung und damals das modernste Hochschulgesetz. Aber seitdem hat sich ein bisschen was in der Gesellschaft geändert. Dementsprechend muss man Gesetze anpassen, wenn sie die nächsten zwanzig Jahre halten sollen.

Später kam diese verheerende Experimentierklausel, die permanent verlängert worden ist. Die war natürlich für alle Fraktionen im Abgeordnetenhaus ideal: Die Hochschulen können experimentieren, dann müssen wir nichts mehr machen. Wir wollen das wieder ändern, aber in der Koalition mit der CDU konnten wir uns darauf nicht einigen. 

Was werden die wichtigsten Änderungen für Studierende?

Für Studierende ist die Studierbarkeit das Wichtigste, die Reduzierung des Prüfungsumfanges in den einzelnen Modulen. Normalerweise soll ein Modul eine Abschlussprüfung haben, maximal zwei. Wir haben inzwischen Module, die haben 30, 40 Teilprüfungen. Die heißen dann nett umschrieben irgendwie anders, tatsächlich sind die aber eine Voraussetzung dafür, den Modulabschluss zu bekommen. Wir wollen eigentlich, dass die Studierenden selbstständig studieren. Im Gesetz ist daher zu regeln, was der Maximalumfang von Prüfungen jedweder Art sein darf und wann sie überhaupt zu einer Exmatrikulation führen dürfen. 

Rot-rot-grün möchte die Hochschulen demokratischer gestalten. Zeitgleich wählen zum Beispiel an der FU und HU mittlerweile nicht mal mehr ein Drittel der Hochschullehrer*innen den Akademischen Senat, bei Studierenden und Mitarbeiter*innen sieht es noch drastischer aus. Kann man da mit dem Hochschulgesetz gegensteuern?

Die spannende Frage ist: Bin ich in der Lage, die Gremien in der Hochschule so zu gestalten, dass für alle erkennbar ist, dass es sinnvoll ist, sich damit zu beschäftigen und zu einer Wahl zu gehen? Und organisiere ich Wahlen so, dass alle daran teilnehmen können?

Die einzelnen Gremien müssen tatsächlich eine Rolle spielen. Es kann nicht sein, dass diese nur reine Empfangsgremien sind, die Dinge verwaltungstechnisch abzusegnen haben. Außerdem müssen die Kommissionen für Lehre und Studium, die aus unserer Sicht außerordentlich erfolgreich überall arbeiten, abgesichert und gestärkt werden, damit auf den unterschiedlichen Ebenen klar wird: Es gibt Beteiligungsmöglichkeiten, wo meine aufgewendete Zeit nicht für den Mülleimer ist, sondern zu Ergebnissen führt. Wenn uns das auf verschiedenen Ebenen gelingt, gibt es auch einen Grund, zur Wahl zu gehen oder sich wählen zu lassen.

Außerdem braucht es Kompensationen für das Engagement. Denn wenn ich will, dass Studierende einen erheblichen Teil der Beratungen an einer Uni übernehmen und sie sich selbst verwalten sollen, dann will ich von einem Teil der Studierenden, dass sie mehrere Stunden in der Woche neben ihrem Studium oder mit Studienunterbrechung für die Studierendenschaft tätig sind. Also muss ich dafür einen Anreiz schaffen. Das gilt genauso für die wissenschaftlichen und sonstigen Beschäftigten. 

Ein Vorschlag in der Debatte um das BerlHG sind Wahlen per App. Ist das eine denkbare Variante, um die Wahlbeteiligung an Berliner Unis zu erhöhen?

Es gibt grundsätzlich den Anspruch, dass die Hochschulen Vorreiterinnen der Digitalisierung sein sollten. Wie können Studierende ihre Studierendenparlamente in einer Situation wählen, in der sie gar nicht an den Hochschulen sind? Antwort: Sie können eigentlich gar nicht wählen. Das ist der Punkt, an dem man sagt: Dann geht mal ran und entwickelt eine Lösung. Doch aktuell kann z. B. die Anmeldung manipuliert werden. Zur Zeit vergeben die meisten Hochschulen für die Uni-Accounts irgendein Kennwort an ihre Studierenden, das – sagen wir mal vorsichtig – keinen einzigen Sicherheitscheck überleben würde. Darüber kann ich keine Wahl organisieren, also zur Zeit gibt es kein elektronisches, sicheres Wahlsystem, das wir einführen könnten. 

In Thüringen wurde in vielen Unigremien die Viertelparität eingeführt, dort haben also Studierende, Profs, wissenschaftliche und anderweitige Mitarbeiter*innen gleich viele Stimmen. Wird das auch in Berlin kommen?

Solche Besonderheit wie eine 50%-Beteiligung der Studierenden an bestimmten Gremien, die wir ja schon im Gesetz haben und was ja schon funktioniert, die wollen wir erhalten. Und die Viertelparität, die für einige sehr wichtig ist, wird nicht überall eingeführt, sondern sie ist eine der Möglichkeiten. Andere Regelungen stärken wir, wie eben 50%-Beteiligung der Studierenden. Ich denke, das ist auch im Interesse der Studierendenvertretungen, keinen Fortschritt zurückzunehmen, nur weil man ein Prinzip einführen will.

Wenn man sich die tatsächliche Zusammensetzung im wissenschaftlichen Mitarbeiter-Bereich anguckt, dann stellt man fest: Wir haben da die Professorenschaft und es gibt die dauerbeschäftigten wissenschaftlichen Beschäftigten. Welchen Unterschied haben die tatsächlich? Die machen Lehre, die machen Prüfungen, mal gibt es mehr Forschung, mal weniger. Wieso sind das eigentlich unterschiedliche Gruppen? Im Grunde genommen ist das eine Gruppe. Wenn man das so sieht, kann man nicht mit einer Viertelparität weiterkommen. Das ist einer der Punkte der Diskussion der Koalition, die nicht gelöst sind. Letztendlich sind auch andere Paritäten in bestimmten Gremien vorstellbar.

Sie haben vorhin schon die Erprobungsklausel „verheerend” genannt. Jetzt fordern Studierendenvertreter*innen und Gewerkschaften deren Abschaffung. Wird sie am Ende nicht mehr im Gesetz stehen?

Ja. Die Entwicklung an den Hochschulen kann man anders regeln als zu sagen: Ihr dürft tun und lassen, was ihr wollt. Wir haben eine Senatsverwaltung, die zwar keine Beschäftigten dafür hat, weil man die irgendwann gestrichen hat, aber die kontrollieren soll, ob das völliger Unsinn ist, was ihr da macht. Das ist ja die momentane Gesetzeslage. Das ist nicht sinnvoll. In der BerlHG-Neufassung wollen wir einen Rahmen setzen und innerhalb dieses Rahmens können die Hochschulen Sachen ausprobieren, sofern sie die Standards erfüllen. 

Dann müssen diese Standards recht konkret im Gesetz definiert sein.

Genau! Deswegen wird es ja auch spannend. Wenn die Vorlage von der Senatsverwaltung kommt, ist ein Diskussionsprozess vorgesehen, um herauszufinden, ob sie wirklich tragfähig ist. Wir brauchen ein Gesetz, das über die Koalitionsparteien hinaus Zustimmung erhält, das mit Leben gefüllt werden und eine Grundlage für das Zusammenleben an den Hochschulen sein soll. 

Gab es im Vorfeld Protest von den Hochschulen wegen Einschränkungen ihrer Autonomie?

Die Berliner Hochschulen genießen einen Autonomiestatus, den keine Hochschulen in anderen Bundesländern genießen. Sie werden aus ihrer Sicht zum Teil durch die Hochschulvertragsverhandlungen in ihrer Autonomie schon eingeschränkt, weil sie da Leistungen garantieren müssen. Diese leistungsorientierte Finanzierung ist ein zentrales Steuerungselement.

Eine weitere Forderung ist, Nachhaltigkeit stärker im Hochschulgesetz zu verankern. Wie sähe das aus und was hätte es für Auswirkungen?

Ja, wir schreiben das ins Gesetz. Wir haben uns als Parteien auf eine Definition verständigt, die sowohl umwelt- als auch sozialpolitisch gedacht ist. Nachhaltigkeit bedeutet auch, dass die Ressource Arbeitskraft geschont wird. Wir wollen im Gesetz Umweltstandards einführen. Die Entscheidungen müssen immer auch berücksichtigen, welche Auswirkungen sie auf die Umwelt und den Ressourcenverbrauch haben. Das wird keine Umweltplakette, sondern eine ständige Aufgabe. Deswegen auch der Versuch, eine Definition ins Gesetz zu nehmen: Damit die Hochschulen ihre Entscheidungsprozesse dann daran ausrichten müssen. 

Soll eine verpflichtende Klimaneutralität im BerlHG eine Rolle spielen?

Nein, das schreiben wir nicht ins Berliner Hochschulgesetz. Wir haben andere Gesetze in Berlin und andere Regelungen, die auch für Hochschulen gelten. Es gibt diesen Anspruch, weil wir eine Hochschule sind, wollen wir das alles in unserem eigenen Gesetz haben. Es gibt bestimmte Gesetze, die etwa mit Gleichberechtigung zu tun haben, die gelten auch an Berliner Hochschulen, gerade bei Diversität und Gleichstellung. Da gibt es Punkte, die in Hochschulen spezifische Ausprägungen haben, Beauftragte etwa. Aber die Grundlagen wiederholen wir da nicht, sonst haben wir 1000 Seiten BerlHG und kein Mensch weiß mehr, was da drin steht.

Man sieht gerade, dass man den Lehrbetrieb auch digital stattfinden lassen kann. Wäre es nicht sinnvoll, dann auch im Gesetz klar zu machen, wie etwa Vorlesungen digital stattfinden können?

Das ist tatsächlich ein Anspruch. Eine digitale Vorlesung bedeutet nicht, ich stelle irgendwo einen Camcorder hin und dann hält jemand eine mehr oder weniger gelungene Vorlesung. Man kann das besser gestalten. Es ist offenbar notwendig, einzelnen Fachbereichen oder einzelnen Lehrkräften deutlich zu machen, dass digitale Lehre nicht heißen kann, ein Drittel der Studierenden auszuschließen. Man muss sie so gestalten, dass alle die Möglichkeiten haben, etwa durch ein zeitversetztes Angebot. Tatsächlich führt das dazu, dass wir jetzt schon die Diskussion haben, diese Standards für e-Learning dann vielleicht auch gesetzlich regeln zu müssen. Man staunt, was man sich alles überlegen kann, um Studierende auszuschließen, um sich die Arbeit scheinbar zu erleichtern. Das gilt aber auch für Mindestanforderungen für digitale Prüfungen. Das alles spricht dafür, dass auch die Standards des Gesetzes für digitale Lern- und Prüfungsformen nochmal etwas verbindlicher für alle ersichtlich verankert werden. Ein Punkt, den wir auf alle Fälle im Gesetz verankern werden: Wie in Zukunft Nachteilsausgleiche einfacher gestaltet werden.


Autor*innen

Julian von Bülow

interessiert sich für Politik, Geschichte und Technik. Freier Journalist für Text, Audio und Video. Auf Mastodon und Bluesky erreichbar.

Julian Sadeghi

Einer der Julian Sadeghis dieser Welt.


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