Exil auf Zeit

Die „Akademie im Exil“ steht für eine traurige Entwicklung. Das Programm unterstützt Wissenschaftler*innen, die in ihrer Heimat nicht mehr frei forschen können. Von Philipp Schaffranek 

Die Wissenschaftsfreiheit steht international auf dem Spiel, das zeigt auch die Nachfrage bei der Akademie: Auf acht Plätze haben sich in diesem Jahr 130 Forscher*innen aus 30 Ländern beworben. Foto: unsplash.com

Die Bewerbungen, die im Mai bei Achim Rohde eingehen, erzählen traurige Geschichten. Abgeschickt haben sie zum großen Teil türkische Wissenschaftler*innen. Sie können in ihrer Heimat nicht mehr arbeiten, weil ihre Forschung aus Sicht des Staates unbequeme Wahrheiten aufdeckt oder die Wissenschaftler*innen sich selbst politisch engagiert haben – auf der falschen Seite. 

Achim Rohde, studierter Islamwissenschaftler, koordiniert das Programm „Akademie im Exil“ an der Freien Universität. Demnächst möchte die FU wieder acht neue Fellows an die FU holen, damit sie in Berlin weiterforschen können. Unter den Kandidat*innen sind auch Wissenschaftler*innen aus Syrien, wo ein grausamer Krieg sie daran hindert, ihre Forschung voranzutreiben. Es sind auch Geschichten aus EU-Ländern wie Ungarn, in denen Forschungszweige eingeschränkt werden, weil sie Politiker*innen nicht gefallen oder sie sich finanziell nicht mehr lohnen.

Gegründet wurde die „Akademie im Exil“ 2017 an der Universität Duisburg-Essen und dem Kulturwissenschaftlichen Institut in Essen. Auslöser waren die massiven Einschränkungen der Wissenschaftsfreiheit nach dem Putschversuch in der Türkei im Sommer 2016. Das Programm bietet gefährdeten Wissenschaftler*innen die Möglichkeit, für ein bis zwei Jahre nach Deutschland zu kommen und hier zu forschen. Seit seiner Gründung hat sich das Programm zu einer Plattform mit verschiedenen Träger*innen entwickelt, darunter auch prominente Geldgeber wie die Volkswagen-Stiftung. 2018 schloss sich die Freie Universität an.

Fall Ungarn: Bis zum Ende die Genderstudies verteidigen

Eine der aktuellen Fellows in Berlin ist die Ungarin Anikó Gregor. Sie forscht und lehrt an der ELTE University, der führenden öffentlichen Universität in Ungarn. Im Master hat sie Genderstudies studiert, ihren Doktor machte sie in Soziologie und baute den ersten Masterstudiengang in Genderstudies an ihrer Universität mit auf. Ihr letztes Forschungsprojekt in Ungarn sollte sich mit der Frage beschäftigen, wie ungarische Frauen mit Kapital aus dem Ausland ausgebeutet werden, um dort die Produktionskosten niedrig zu halten. Doch ihre Forschung geriet immer mehr in den Hintergrund, weil die ungarische Regierung die Genderstudies infrage stellte. Vergebens kämpfte sie um das Masterprogramm bis es dann 2018 eingestellt wurde – offiziell wegen mangelnder Nachfrage. 

Wissenschaftsfreiheit steht auf dem Spiel

Im internationalen Trend nimmt die Wissenschaftsfreiheit ab: Vor kurzem hat das Global Public Policy Institut einen Academic Freedom Index veröffentlicht. Der Bericht listet 34 Länder, in denen die Freiheit der Wissenschaft erheblich eingeschränkt ist. In fünf Ländern hat sich die Situation für Wissenschaftler*innen in den letzten fünf Jahren verbessert, in doppelt so vielen war das Gegenteil der Fall. Das „Scholars at Risk Network“ zählt für die vergangenen zwölf Monate 254 Angriffe auf Personen an Hochschulen. Die Angriffe reichen von Kündigungen über Inhaftierungen bis zum Verschwinden von Wissenschaftler*innen und ungeklärten Morden.

Das Berliner Global Public Policy Institute hat die Entwicklung der Wissenschaftsfreiheit in den vergangenen 120 Jahren untersucht. Quelle: Global Public Policy Institute

Ob Forschende wie Aniko Gregór eines der Fellowships erhalten, hängt von drei Kriterien ab: Wissenschaftlicher Leistung, einer Risikoeinschätzung und der Eignung für das Programm der Akademie. „Es ist schon eine schwere Situation, lauter Notlagen zu lesen und aus den ganzen Bewerbern acht auszuwählen“, sagt Rohde über den Auswahlprozess. Die besten Chancen hat, wer einen exzellenten Lebenslauf vorweisen kann – und unter hohem Risiko lebt.

Exilant*innen auf Zeit

In Berlin konnte Anikó Gregor ihre Forschung fortsetzen. Die Fellows erhalten ein Stipendium in Höhe von 2500 Euro, die von der amerikanischen Andrew W. Mellon Foundation und der FU finanziert werden.  Außerdem  stellt die FU auf dem Campus Lankwitz Büros für die Fellows zur Verfügung, sie können die Bibliotheken nutzen und bei Visa-Fragen und anderen organisatorischen Problemen das Center for International Cooperation kontaktieren. Zudem vernetzt Achim Rohde die Fellows untereinander. 

Maximal zwei Jahre dauert ein Fellowship. Es ist Exil auf Zeit. Wissenschaftler*innen, die nicht in ihre Heimatländer zurückkehren können, müssen bis dahin eine Anschlussstelle im Ausland finden. Anikó Gregor wird mit ihren neuen Forschungserkenntnissen nach Ungarn zurückkehren und weiter Kurse unterrichten. Auch wenn sich die Rahmenbedingungen für ihr Fachgebiet verschlechtern. Für die Zeit in Berlin ist sie dankbar. Auch dafür, dass sie sich mit den anderen Fellows vernetzen konnte. Kolleginnen und Kollegen aus der Türkei und anderen Konfliktregionen befinden sich in einer viel problematischeren Situation als ich”, sagt sie.

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