Vom Recht, nicht gegessen zu werden

Weiterleben des Tieres versus menschliche Fleischeslust: Bernd Ladwig entwickelt in seinem neuen Buch nicht weniger als eine politische Philosophie der Tierrechte. Leon Holly wagt eine Rezension.

Ist Nutztierhaltung moralisch vertretbar? Foto: Pixabay, Illustration: Joshua Liebig, Montage: Elias Fischer

Wenn bisher von Tierrechten die Rede war, dann zumeist von denen einer speziellen Tierart aus dem Reich der Vielzeller, Stamm Chordatiere, Klasse Säugetiere, Ordnung Primaten, Familie Menschenaffen, Gattung Homo, Art Homo sapiens – kurz: Die Rede war vom Menschen. Bernd Ladwig betont in seinem kürzlich  erschienen Buch „Politische Philosophie der Tierrechte“ unsere tierische Natur. Denn seit Charles Darwin wissen wir, dass wir uns keineswegs für die Krone irgendeiner Schöpfung halten dürfen, sondern dass wir vielmehr entfernte Verwandte der Moose und Fungi sind, und deutlich engere von Kühen, Schweinen und unseren Cousins, den anderen Menschenaffen.

Was uns aber auszeichnet, ist unser hohes Reflektions- und Abstraktionsvermögen: Homo sapiens, der „weise Mensch“, kann moralisch denken und handeln. Doch sollten wir deshalb ausschließlich andere vernunftbegabte Lebewesen in unsere moralischen Abwägungen einbeziehen? Ladwig verneint diese Frage. Überall dort, wo Tiere relevante Eigenschaften mit Menschen teilen, etwa im Interesse für soziale Bindung oder Schmerzvermeidung, sollten ihre Bedürfnisse auch gleiche Beachtung finden. Wie der Titel des Buches bereits verrät, belässt der Professor für politische Theorie am Otto-Suhr-Institut es nicht bei der Problematik der individuellen Moral, sondern fragt sich, wie wir unser Moralverständnis in verbriefte politische Rechte verwandeln können. Empfindende Lebewesen, so schreibt Ladwig, müssten ihre Rechte nicht unbedingt selbst einfordern können. „Jedes Subjekt von Empfindungen hat einen gültigen Anspruch auf ein eigenes Leben nach Maßgabe grundlegend und zentral bedeutsamer Interessen.“

Soweit der Kern von Ladwigs moralischer und rechtstheoretischer Grundlage, die er zu Beginn des Buches darlegt. Anschließend nimmt er Stellung zu spezifischeren Fragen der Tierrechte und der politischen Praxis. Kapitel für Kapitel erarbeitet Ladwig eine Übersicht des bisherigen Tierrechtsdiskurses, die er dann anhand der Argumente Peter Singers, Martha Nussbaums und Co. um seine eigene Auffassung ergänzt. Das ist anspruchsvolle politische Theorie, doch Ladwig gelingt es, den Stoff durch lebendige Beispiele und eine angenehm klare und präzise Sprache zugänglich zu machen. Obwohl er die Etablierung von Tierrechten fordert, zieht Ladwig eine Grenze zu extremen Tierrechtler*innen, die etwa eine aktivbürgerliche Beteiligung von Tieren oder die Beendigung jeglicher Form der (Haus-)Tierhaltung fordern.

Kann Nutztierhaltung moralisch sein?

Und nun ans Eingemachte: Ladwig lenkt den Blick zu Recht auf die industrielle Massentierhaltung als großes Übel. Dass hier nicht nur Tiere gequält, sondern auch Menschen ausgebeutet werden, hat nicht erst der Skandal um den Wurstbaron Clemens Tönnies offenbart. Doch Leid zu vermeiden ist die eine Sache. Heißt das aber, dass wir Tiere unter keinen Umständen zum Verzehr töten dürfen? Hier würde Ladwig bejahen. Das Interesse der Tiere am Weiterleben übertrumpfe die Fleischeslust des Menschen, der sich durchaus auch anders gesund ernähren könne. Was aber, wenn ein glückliches Freilandrind überhaupt nur zum Zwecke der Schlachtung geboren wird, um schließlich durch einen Kopfschuss auf der Weide getötet zu werden? Wäre das ethisch vertretbar?

Wenn man in utilitaristischer Manier die potenziellen positiven Erfahrungen von Nutztieren einbezieht, denen zwar die Schlachtung, aber zuvor ein gutes Leben bevorsteht, könnte man zustimmen. Ladwig indes wendet sich gegen den Utilitarismus: „Aber wessen Interessen würden verletzt, wenn man es gar nicht erst erzeugte? Nichtexistenz ist kein Zustand irgendeines Individuums; und wer nie existieren wird, wird sich auch nie in Zuständen befinden, die wir moralisch bewerten könnten.“ Dabei gibt es auch gute Gründe für die utilitaristische Sichtweise: Sicher wäre es auch nicht egal, oder sogar wünschenswert – wie etwa die Antinatalisten behaupten –, wenn die Menschheit und alle anderen Lebewesen langsam aussterben würden. Keine Menschen, keine Interessen mehr, ergo moralische Gleichgültigkeit? Ein lebendiger Planet ist einem toten vorzuziehen, sollte man meinen.

Doch dürfen  wir dann Tiere in dieser Weise zu Mitteln für unsere Zwecke machen? Dass wir einen Menschen nicht unter dem Vorbehalt, ihn später nach Belieben zu töten, in die Welt setzen dürfen, ist klar. Für Ladwig begrenzt auch das Lebensrecht des Tieres kategorisch die zulässigen Zwecke der Erzeugung: Sobald ein Tier existiere, solle es auch weiterleben dürfen. Doch hat der Mensch gewiss ein höheres Interesse am Weiterleben als ein Schwein, da er über sein Dasein, sein Selbst, seine Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft reflektieren kann.

Einige Tiere sind in der Lage, ihr eigenes Spiegelbild zu erkennen. Delfine beispielsweise nehmen sich im Spiegel wahr. Dieses Video zeigt, dass sie die Gelegenheit sogar aktiv nutzen, um ihren Körper ganzheitlich zu betrachten.

Ein nichtmenschliches Tier kann dies höchstens in einem rudimentären Sinne. Sein Interesse am Weiterleben ist insofern geringer, als dass es sich selbst keine höheren Ziele für die Zukunft setzen kann. An anderer Stelle scheint Ladwig das anzuerkennen, wenn er über die Abstufung von Rechten spricht. So wiege der Tod eines Menschen schwerer als der eines Karpfen: “Die Menschen würden wohl durch eine Tötung sehr viel mehr verlieren als die Karpfen. Und sollten das Weiterleben einer Person und das Weiterleben eines Karpfens zwei wesentlich unvergleichbare Güter sein, so dürften nicht einmal die Zahlen eine Rolle spielen: Beliebig viele Karpfen müssten notfalls sterben, damit kein einziger Mensch sein Leben verliert.”

Tierleid durch neue Techniken vermeiden 

Nicht überall auf der Welt keimt derzeit ein Bewusstsein für Fragen der Tierrechte auf wie in Europa oder Nordamerika. Besonders in Ländern mit aufstrebender Mittelklasse wächst vielmehr der Hunger auf Fleisch. Hier kann eine materielle Revolution in der Fleischherstellung womöglich mehr für das Tierwohl tun als moralische Plädoyers. Sollte etwa die neuartige Technik, mit der sich Fleischgewebe aus Zellkulturen herstellen lässt, nicht nur besser, sondern vor allem auch billiger werden, könnten die industrielle Massentierhaltung und gar das Töten von Tieren per se obsolet werden.

Eine weitere potentielle Technik mutet schon etwas befremdlicher an. Wäre es nicht sogar möglich, mithilfe der Genschere CRISPR/Cas die Kognition von Tieren zu verändern, sodass sie keine Bedürfnisse mehr haben und kein Leid mehr empfinden? Das Ergebnis wären dann quasi Fleischpflanzen: Lebendig, aber nicht bewusst und empfindend und somit nicht mehr Gegenstand moralischer Bedenken. Prinzipiell wäre ein solcher Eingriff wohl möglich, wenn auch schwierig und langwierig.

Ladwig spricht die Idee sogar an, nur um sie schnell abzuhandeln: Solche „Zombie-Schweine“ würden unser Vorstellungsvermögen strapazieren. „Gefühlsmäßige Reaktionen sehr vieler Menschen sind aus sekundären Gründen bedeutsam, da wir die allgemeine Motivation zur Moral stärken und nicht schwächen sollten.“ Nun könnte es aber doch möglich sein, dass die Schaffung von empfindungslosen Tieren gerade das moralisch Richtige wäre, da sie die Haltung empfindsamer Nutztiere überflüssig macht, und aus diesem Grund unterstützt werden sollte. „Beachtlich ist auch die Gefahr, auf eine schiefe Ebene zu geraten. Womöglich hätte eine Gewöhnung an bewusstseinsunfähige Tiere zur Folge, dass wir die Leiden ihrer weiterhin bewusstseinsfähigen ‚Artgenossen‘ noch weniger ernst nähmen oder die einen mit den anderen verwechselten.“ Ob diese Einwände allerdings eine reale Leidverminderung ausstechen, ist doch zu bezweifeln.

„Gefühlsmäßige Reaktionen sehr vieler Menschen sind aus sekundären Gründen bedeutsam, da wir die allgemeine Motivation zur Moral stärken und nicht schwächen sollten.“

Bernd Ladwig in „Politische Philosophie der Tierrechte“

Das Thema “Tierrechte” wird in den nächsten Jahren an politischer Relevanz gewinnen. Bernd Ladwig führt nicht nur in die Debatte ein, indem er die verschiedenen Positionen darlegt und einer strengen Prüfung unterzieht, sondern  es gelingt ihm, eine wohlüberlegte Theorie der Tierrechte zu entwerfen, die zur rechten Zeit kommt. Denn der Mensch ist tierisch – und das Tierische ist politisch.


Bernd Ladwig, „Politische Philosophie der Tierrechte“, erschienen im Suhrkamp Verlag, 22 Euro

Autor*in

Leon Holly

On the write side of History. @LeonHolly_

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