Eine kleine Geschichte der Viertelparität

Foto: Heinz-Otto Jurisch / FU Berlin, UA, Foto-Slg., Foto/30225

Die Viertelparität ist eine der wichtigsten Forderungen von Studierenden an das neue Hochschulgesetz. Sie ist ein Kind der 68er und Zeugnis der modernen Universität. Ein Essay von Jette Wiese.

Berlin-Dahlem, Juni ’66. Im ersten Stock des imposanten Henry-Ford-Baus sitzt eine kleine Runde von Professoren zusammen und berät über das Studium an der FU, über Zwangsexmatrikulationen und Langzeitstudierende. Unten im Foyer, auf den Stufen der freischwebenden Treppe und draußen vor dem Gebäude werden sie belauert: 3000 Studierende haben sich hier zu einem zehnstündigen Sit-In versammelt. Sie fordern „die Verwirklichung demokratischer Freiheit in allen gesellschaftlichen Bereichen“, so heißt es in ihrer Resolution. Die Idee: So lange sie im Akademischen Senat (AS), dem höchsten Gremium der Uni, nicht mitreden dürfen, sitzen sie eben davor – länger, lauter und vor allem demokratischer als im Kreis der grauen Herren.

Die Zeit solcher wöchentlichen Protestaktionen auf dem Campus mag vorbei sein, doch das Ringen um mehr Mitbestimmung ist es nicht. Studierende fordern aktuell, im neuen Berliner Hochschulgesetz die Stimmengleichheit aller universitären Gruppen in den akademischen Gremien festzuschreiben – die sogenannte Viertelparität. Bisher haben dort Professor*innen die Mehrheit und können die Anliegen der Studierenden und Mitarbeiter*innen blockieren. Ein Blick auf die Geschichte studentischer Mitbestimmung zeigt, was hinter dem sperrigen Begriff steht, und offenbart: Kritiker*innen der Viertelparität hängen einem anachronistischen Verständnis vom Wesen der Universität nach. 

In den sechziger Jahren hatten die Professor*innen noch die alleinige Macht an den Universitäten, Studierenden und Mitarbeiter*innen wurde keinerlei Mitbestimmung eingeräumt. Erst 1969 führte Berlin mit einer Hochschulreform die sogenannte Gruppenuniversität ein, mit der auch Wissenschaftliche (WiMis) und Nicht-Wissenschaftliche Mitarbeiter*innen (sonstige Mitarbeiter*innen, SoMis) sowie Studierende in die akademischen Gremien Einzug hielten. Der Schritt war revolutionär, er brach mit der Tradition der altehrwürdigen, patriarchal gedachten Universitas, die sich um die Lehrstühle organisierte und die WiMis unter die strenge Autorität der Professor*innen stellte. Die Reform wandelte die Fakultäten in Fachbereiche um, der Universitäts-Rektor wich einer zeitlich begrenzten Präsidentschaft und aus den grauen Herren wurde ein Akademischer Senat mit vier stimmberechtigten Statusgruppen.

Diese waren zwar nicht paritätisch verteilt, die Professor*innen hatten immer noch die Mehrheit. Taten sich WiMis, SoMis und Studierende jedoch zusammen, konnten sie die Profs überstimmen. Eine Errungenschaft, die die sozialliberale Koalition in Berlin nach dem sogenannten Hochschul-Urteil bereits 1978 revidierte: Bis heute haben Professor*innen immer eine Stimme mehr als die anderen Mitglieder zusammen.

„Ein Hexenkessel war diese Zeit, eine Suppe brodelte, kochte. Immer war und ist das Ende offen, die Zeit um 1967.“ – Hans Gellhardt, früherer FU-Student und Asta-Mitglied

Wer in der Hochschulpolitik mitreden darf, war zumindest in den späten sechziger Jahren mehr als eine technokratische Frage der Sitzverteilung. Es ging um die Politisierung der Studierendenschaft. Man wollte als wirkmächtige politische  Bewegung gehört werden – die Hochschuldemokratie war Mittel zum Zweck. Hans Gellhardt studierte damals an der FU und war Mitglied des Asta. In seiner Biographie „Wofür haben wir gekämpft?“ schreibt er: „Mehr und mehr ging es uns um die Aktivierung der Studentenschaft selbst. Die Forderungen waren nicht tatsächlich Ziel, sondern Mittel für ihre Aktivierung, Ziel war der Prozeß der handelnden Bewußtwerdung.“ 

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Aus Protest besetzten Studierende im Juni 1968 das Rektoratsgebäude der FU, damals noch in der Ihnestraße 24.

Foto: NN / FU Berlin, UA, Foto-Slg., Foto/30919

Im Stil seines berühmten Kommilitonen Rudi Dutschke findet Gellhardt ziemlich verschwurbelte Worte. Was sie meinen: Die Studierenden sollten anfangen, sich mit ihrer Umgebung auseinandersetzen, also auch mit den Machtstrukturen, in denen sie leben und lernen. Dem daraus folgenden Aufruf zur Emanzipation trugen die einen mit revolutionären Ambitionen bis hin zur RAF Rechnung. Andere begannen den Marsch durch die Institutionen: Im Dezember 1970 wurden an der FU erstmalig fünf Studenten in den Akademischen Senat gewählt, Hans Gellhardt war einer ihrer Stellvertreter.

Willy Brandt und das Hochschulgesetz 

Die Forderung nach Mitbestimmung sollte über Berlins Grenzen hinaus in einem bundesweiten Gesetz erfüllt werden – so wollte es der frisch gewählte Bundeskanzler Willy Brandt. In seiner ersten Regierungserklärung im Oktober 1969 versprach er, „für Hochschulen und staatliche Forschungseinrichtungen (…) wirksame Vorschläge für die Überwindung überalterter hierarchischer Formen“ vorzulegen. Doch zu dem Gesetz kam es nie, zu mächtig war der Protest der Professor*innen. Wie die Deutsche Presse-Agentur 1969 berichtete, fürchteten sie, „dass der Gesetzentwurf die Freiheit von Forschung und Lehre in Zukunft nicht mehr gewährleiste.“

Die Forschungsfreiheit ist heute noch Hauptargument gegen die Viertelparität. Interessant ist dabei das Wissenschaftsverständnis, das dahinter steht: Obwohl mit der Gruppenuniversität anerkannt wurde, dass nicht nur Profs bei hochschulinternen Entscheidungen mitreden sollten, werden sie nach wie vor als die Wächter*innen der Universität gedacht. Dabei ist heute der Mittelbau, also die Gruppe der Wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen, viel größer als die Professor*innenschaft – ein modernes Universitätsverständnis müsste sie, genau so wie die Studierenden als Reproduzent*innen des Wissens, wesentlich prominenter behandeln. Wissen ist  weder Service noch Doktrin von Professor*innen – es entsteht im Austausch im besten Falle Gleichberechtigter. Warum sollten Entscheidungen, die die gesamte Universität betreffen, dann den meisten ihrer Mitglieder verwehrt bleiben? 

Das Hochschul-Urteil und seine Folgen

Weil das im Hochschul-Urteil steht, antworten Viertelparitäts-Skeptiker*innen. Nachdem 1971 auch in Niedersachsen die Mitbestimmung von WiMis und Studierenden beschlossen wurde, reichten mehr als 300 Professor*innen Verfassungsbeschwerde ein. Das Bundesverfassungsgericht entschied zwei Jahre später, dass die Gruppenuniversität die Wissenschaftsfreiheit zwar nicht gefährde. Aber: Grundsätzlich müssten die Professor*innen in den Gremien mindestens die Hälfte der Stimmen innehaben, bei Fragen zur Forschung sogar mehr als die Hälfte. Der Beschluss ist seither maßgebend für die Machtverhältnisse an den deutschen Universitäten.

Doch das Urteil ist umstritten. Die Landesastenkonferenz argumentiert, die Wortwahl der Richter*innen rechtfertige nicht die professorale Mehrheit im Akademischen Senat. Sie gelte nur für Entscheidungen, die unmittelbar die Forschung betreffen. Wann das der Fall ist, ist nicht definiert. Neben der juristischen Kritik ist die Argumentationskraft des Urteils zumindest diskutabel, denn die Ausgangslage war 1973 eine völlig andere: Hier ging es um die Frage, ob Studierende und Mitarbeiter*innen überhaupt in akademischen Gremien repräsentiert sein dürften, nicht um das Wie. Alleine die FU ist seit den siebziger Jahren extrem gewachsen, mittlerweile zählt sie 33.000 Studierende – eine überwältigende Zahl im Vergleich zu den knapp 480 Professor*innen. Auch der Einbezug von Mitarbeiter*innen ist im modernen Betriebsverständnis nicht wegzudenken. Wie aussagekräftig ist eine fast fünfzig Jahre alte Gerichtsentscheidung zu einer Frage, die längst nicht mehr zeitgemäß ist? 

Nordrhein-Westfalen und Thüringen haben die Viertelparität trotz des Urteils in ihre heutigen Hochschulgesetze geschrieben. In Berlin scheut man diesen Schritt jedoch, eine Verankerung in der anstehenden Gesetzesnovelle ist unwahrscheinlich. Der Staatssekretär für Wissenschaft und Forschung, Steffen Krach (SPD), sagte im Interview mit FURIOS, er werde keinen Gesetzesentwurf vorlegen, der verfassungsrechtlich angreifbar sei. 

Dabei ist die Viertelparität letztlich keine Frage des Rechts-, sondern des Universitätsbegriffs. Doch es scheint, als hätte sich dieser in den vergangenen fünfzig Jahren kaum gewandelt. Noch immer sind die Einflussmöglichkeiten gering, der Frust darüber groß. Wo in den Sechzigern tausende Student*innen stundenlang über die Demokratie debattierten, droht heute ein apolitischer Raum zu entstehen – zu schwer wiegt die Lethargie in den Gremien. Die Viertelparität könnte das ändern: Denn hinter Paragraphen und sperrigem Hochschulpolitik-Jargon steckt ein sentimentaler Hauch von 68, der zu Emanzipation ermutigt und mit der Frage in den Raum poltert, was, vor allem aber wer die Universität eigentlich ist. Er sollte nicht einfach vorüberziehen. 


Quellen:

  • Universitätsarchiv FU Berlin, Bestand APO
  • Florian Meinel (2017): „Zur Rekonstruktion einer Kontroverse. Das erste Hochschul-Urteil des Bundesverfassungsgericht vom Mai 1973”
  • „Wofür haben wir gekämpft?” Biographie von Hans Gellhardt

Autor*in

Jette Wiese

Lieber lange Wörter als Langeweile.


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